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Beilage zu den Schulnachrichten O
der Oberrealschule in Stuttgart-Cannstatt

zum Schlusse des Schuljahres 1908 09.

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Unter

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den Vertretern der romantischen Schule außerhalb Deutschlands werden wir nicht leicht einen Dichter finden, dessen Empfindungsleben so unmittelbar beeinflußt war von der Natur, vor allem in ihren gewaltigen, den Menschen mit dem Bewußtsein seiner Ohnmacht und Kleinheit erfüllenden Erscheinungen und Wirkungen, wie das Lord Byrons, und unter denen, welche den Gefühlen und Empfindungen, die den Menschen beim Anblick der ihn umgebenden Natur bewegen, einen tief empfundenen dichterischen Ausdruck verliehen haben, wird Lord Byron gewiß stets eine hervorragende Stelle einnehmen.

Haben wir doch gerade bei ihm fast immer den lebhaften Eindruck, daß er das, was er als Dichter von der Natur in ihren mannigfaltigsten Beziehungen ausspricht, selbst auch im innersten Herzen und Gemüt wahr und tief empfunden hat und daß er sich zur Natur mit der ganzen Stärke seines feurigen, für alles Große tief empfänglichen und begeisterungsfähigen Temperaments hingezogen fühlte.

Dabei hatte der vielgereiste Dichter das so vielen seiner Genossen versagte Glück, Selbsterlebtes und Selbstgeschautes, verklärt durch die lebhaften Farben einer glühenden Phantasie, dichterisch zu gestalten, ohne, wie manche Vertreter der romantischen Richtung, in überschwengliche Phantastik und naturfremde Träumereien zu verfallen.

Ein Ton klingt in seinen Dichtungen stärker oder schwächer hindurch, der der pessimistischen Grundstimmung seines Wesens entspricht und der uns in seinem Hang zur Einsamkeit begegnet, die für ihn einen besonderen Reiz zu haben scheint; verzichtet er doch im Alleinsein mit der großen Natur gerne auf die menschliche Gesellschaft, die ihm für das unmittelbare Verhältnis, in das er überall zu jener zu treten sucht, nur eine unliebsame Störung bedeutet und ein Hindernis, zu einem vollen reinen Genuß derselben. zu kommen.

Wir werden deshalb, wenn wir im folgenden versuchen, aus sämtlichen Werken Byrons eine Zusammenstellung der charakteristischen Stellen zu geben, die auf sein Verhältnis zur Natur ein Licht werfen, von vornherein erwarten dürfen, daß er wesentlich die Seiten des Naturlebens bevorzugt, bei denen der Mensch sich weniger als Glied der menschlichen Gesellschaft, sondern vielmehr als einen Teil des Naturganzen fühlt; daß er besonders gern dort verweilt, wo ihm ein Abbild der Unendlichkeit und der gewaltigen im Universum wirkenden ewigen Naturkräfte entgegentritt; daß er im allgemeinen mehr Sinn hat für das Großartige der Erscheinungen, für das Erhabene, als für das Liebliche und Idyllische, wenn sich gleich auch für dieses Beispiele auffinden lassen.

Er kennzeichnet sich eben auch hierin als echten Romantiker, wie denn, um ein Beispiel anzuführen, der Blick für die Schönheiten der Hochgebirgsnatur sich bekanntermaßen erst eigentlich seit dem Auftreten der romantischen Richtung in Poesie, Kunst und Wissenschaft entwickelt hat, während bei den Menschen früherer Generationen meist nur 454936

ein erdrückendes Gefühl des Grausens und der Furcht ausgelöst wurde in die wir uns heute nur noch schwer hineinzudenken vermögen.

eine Erscheinung,

Für Byron kommt hier noch wesentlich in Betracht, daß er als Bewohner des meerumgürteten Inselreichs und durch seine zahlreichen Wanderungen in den schottischen Hochlanden von früher Jugend an eben mit den gewaltigen Erscheinungsformen der Natur sich vertraut gemacht hatte. Die tiefen Eindrücke, die er hier erhalten hatte, spiegeln sich vielfach in den Dichtungen seiner späteren Jahre wieder und lassen uns die Sehnsucht verstehen, mit der es ihn immer und immer wieder dorthin zog, wo sich ihm die Natur in ihrer höchsten Erhabenheit enthüllt.

Andererseits ergriff den Bewohner des nordischen Eilands besonders tief der Zauber des sonnigen Südens, der ihm Wunder offenbarte, welche die rauhere nordische Natur ihm versagte, und so viele glühende Schilderungen der von ihm bevorzugten Mittelmeerländer, Spaniens, Italiens, namentlich aber Griechenlands, dem sein Herz sich am meisten zugewendet hatte und wo der feurige Geist frühe sein irdisches Ziel finden sollte, legen hievon beredtes Zeugnis ab.

Das Bewußtsein, daß der Mensch selbst nur ein Teil der ihn umgebenden Natur ist und daß er, sich eins fühlend mit Berg, Wasser, Himmel, sich so auf ganz natürliche Weise zu dieser Natur hingezogen fühlt, der gegenüber alles andere ihm nichtig erscheint, spricht Byron z. B. aus in Childe Harold, wenn er sagt:

Are not the mountains, waves, and skies, a part

Of me and of my soul, as I of them?

Is not the love of these deep in my heart

With a pure passion? should I not contemn

All objects, if compared with these?

Und wie die Seele als ein Teil des Naturganzen in ihm ihren Ursprung hat, wird sie auch dorthin zurückkehren:

My altars are the mountains and the ocean,

Earth, air, stars, all that springs from the great Whole,
Who hath produced, and will receive the soul. (Don Juan)

Da der Verkehr mit der Gesellschaft die Menschen von diesem Gefühl des Verbundenseins mit der ganzen Natur abzieht, die Seele an ihrem hohen Flug hindert, empfindet der Dichter den Aufenthalt im Gewühl der Städte als eine Qual, und wenn er auch ein Glied der menschlichen Gesellschaft ist, erscheint ihm diese doch nur als eine lästige Fessel, der er entrinnen möchte, um sich an den Busen der Natur zu werfen:

I live not in myself, but I become
Portion of that around me; and to me

High mountains are a feeling, but the hum

Of human cities torture: I can see

Nothing to loathe in nature, save to be

A link reluctant in a fleshly chain,

Class'd among creatures, when the soul can flee,
And with the sky, the peak, the heaving plain
Of ocean, or the stars, mingle, and not in vain.

(Childe Harold.)

Daß Byron dieses lebendige Naturgefühl wohl auch als religiöses Gefühl empfand, ersehen wir aus einer Stelle seines Tagebuchs, wo es heißt:

I am always most religious upon a sunshiny day, as if there was some association between an internal approach to greater light and purity and the kindler of this dark lantern of our external existence. Und weiter:

The night is also a religious concern, and even more so when I viewed the moon and stars through Herschell's telescope, and saw that they were worlds.

Die Frage, welche Formen der menschliche Geist annimmt und wohin er gelangt, wenn er von seinen irdischen Fesseln befreit ist, beschäftigt den Dichter in einem Gedicht, wo er sagt:

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Eine gütige Mutter ist ihm die Natur, deren Schönheit er vor allem da erkennt, wo sie noch in ihrer unberührten Ursprünglichkeit erscheint auch da, wo sie sich furchtbar zeigt:

Dear Nature is the kindest mother still
Though alway changing, in her aspect mild;
From her bare bosom let me take my fill,
Her never wean'd, though not her favour'd child.
Oh! she is fairest in her features wild,

Where nothing polish'd dares pollute her path:

To me by day or night she ever smiled,

Though I have mark'd her when none other hath,

And sought her more and more, and loved her best in wrath.

(Childe Harold.)

Die Natur bietet dem Dichter denn auch eine Gesellschaft, welche die Menschen ihm nicht bieten können, und in der ungestörten Einsamkeit der Wälder und des Meeres fühlt er sich nicht einsam; hier hält er Zwiesprache mit dem All und versenkt sich in Gefühle, für welche er in Worten nicht den richtigen Ausdruck finden kann:

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