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II.

Die mittelenglischen bearbeitungen der himmelfahrt
Mariae und ihre quellen.

Die legende von der himmelfahrt Mariae ist ebenso alt, wie weit verbreitet. Nach ten Brink 1) entstand sie im orient in der zweiten hälfte des 4. jahrh., Tischendorf) hält ein noch grösseres alter nicht für unmöglich. Sicher ist ihre weite verbreitung. Ausser den griechischen versionen kennen wir drei syrische, eine arabische 3), eine sahidische, selbst in Aethiopien existirt eine ähnliche erzählung *). Sämmtliche orientalische versionen geben eine vielfach variirende überlieferung. Von hier aus ist dieser legendenstoff nun weiter in die meisten abendländischen litteraturen übertragen worden. Wir haben es bei der nun folgenden quellenerörterung nur mit den lateinischen, französischen, deutschen und englischen versionen zu thun, und zwar habe ich für dieselbe folgende fassungen der sage verwerthet:

1) Eine lateinische prosaversion, u. d. t.: Transitus Mariae A, von Tischendorf herausgegeben in: Apocalypses Apocryphae Mosis, Esdrae, Pauli, Johannis, item Mariae Dormitio, additis Evangeliorum et Actuum apocryphorum supplementis. Maximam partem nunc primum edidit Constantinus Tischendorf. Lipsiae MDCCCLXVI, p. 113 f., mit vorwort auf p. XXXIV f.

2) Eine weitere, auch inhaltlich von der zuerst genannten vielfach abweichende lateinische version, u. d. t.: Transitus Mariae B (Incipit transitus Beatae Mariae), in kritischem texte herausgegeben von Tischendorf a. a. o. p. 124 ff.; cf. p. XXXIV ff.

3) a. Der abschnitt: De assumtione beatae Mariae virginis in Jacobi a Voragine Legenda Aurea ed. Th. Graesse. Dresdae und Lipsiae MDCCCXLVI, cap. CXIX, p. 504 ff.

b. De modo assumtionis beatae Mariae, publ. v. Graesse a. a. o. P. 517 f.

4) Die legende von Wace: L'Établissement de la fête de la conception Notre-Dame dite la fête aux Normands par Wace, publié etc. par MM. G. Mancel et G. S. Trebutien. Caen 1842. Eine weitere

1) Geschichte der englischen litteratur von Bernhard ten Brink. Erster band. Berlin 1877. p. 331.

2) Apoc. Apocr. p. XXXIV.

3) Publ. von Maximilian Enger, Elberfeld 1854. cf. Tischendorf a. a. o. p. XXXVI.

4) The Journal of Sacred Literature and Biblical Record, edited by B. H. Cowper. January 1865. p. 418.

ausgabe u. d. t.: Vie de la vierge Marie, publ. par Luzarche. Tours 1859.

Ueber andere unedirte franz. Marienleben vgl. E. Stengel: Mittheilungen aus franz. hss. etc. Halle 1873, p. 20 f.

5) Die dichtung des Conrad v. Heimesfurt, etwa von 1210. Herausgegeben von Franz Pfeiffer in Haupt's zeitschr. Band VIII, p. 156 ff.

Einige andere deutsche versionen übergehe ich hier, so die von Weigand, H. Z. V edirte fassung und die in Hahn's ausgabe des Passionals enthaltene, da schon der umstand, dass ihnen die Thomasepisode fehlt, zur genüge lehrt, dass sie mit E. nichts zu thun haben.

6) Die älteste englische version dieses stoffes ist das von mir hier edirte gedicht in kurzzeilen (E), etwa aus der mitte des 13. jahrhunderts stammend. Ueber hss. und ausgaben später.

7) Eine weitere version in langen reimpaaren, welche dem umfangreichen, im letzten viertel des 13. jahrh. entstandenen südenglischen legenden-cyklus angehört, u. a. enthalten in cod. Harl. 2277 des British Museum; vgl. C. Horstmann: Altenglische legenden. Paderborn 1875, p. IV ff. Die Assumptio Mariae ist die 61. legende dieser hs.

8) Die Auchinleck-hs. in Edinburg enthält fol. 73 ff. eine am anfang unvollständige version unserer legende in sechszeiligen strophen. Dieselbe ist noch nicht edirt; auch steht mir leider keine abschrift derselben zu gebote.

9) Die geschichte von der himmelfahrt der Maria berichtet endlich auch ein abschnitt des bekannten grossen epos, welches den namen Cursor Mundi führt.

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Tischendorf giebt a. a. o. p. XLIII ein verzeichniss von einem dutzend lateinischer ms. der legende, die ihm vorlagen; mehrere von ihnen benutzte er zur herausgabe obiger beiden versionen. Trans. A und Trans. B zeigen recht deutlich, wie grundverschieden die legende behandelt wurde. A ist in seinem berichte knapper als B und lässt eine reihe von scenen aus; erzählt dann aber eingehender vom auftreten des apostels Thomas (vgl. o. p. 7), während B von alledem gar nichts weiss.

Was die assumtio der Legenda Aurea p. 504 ff. betrifft, so ist ihr text wörtlich gleich dem des cod. Ambr. L 58, von dem Tischendorf a. a. o. p. XLIII ein excerpt giebt 1).

1) Es ist merkwürdig, dass er die übereinstimmung zwischen dieser hs. und der 20 jahre früher neu edirten L. A. übersehen zu haben scheint.

Die franz. dichtung1) des Troubadour Wace, die in die erste hälfte des 12. jahrh. hinaufreicht, zerfällt in drei theile: 1) Einsetzung des festes der empfängniss Mariae; 2) ihre geburt, erziehung und verheirathung; 3) ihr tod und begräbniss. Als quelle für abschnitt I diente ihm das Miraculum de conceptione sanctae Mariae; für abschnitt II das Evangelium de nativitate Sanctae Mariae. Um diese beiden werke, die er fast wörtlich benützte, gruppirt der dichter eine menge kleinerer anecdoten und commentatorischer notizen, die meist St. Anselm, Eadmer und anderen kirchenschriftstellern des 11. und 12. jahrh. oder dem Protevangelium Jacobi minoris entnommen sind. Da über das leben der Maria nach der geburt Christi bis zu seinem tode die quellen nicht das mindeste berichten, so hat Wace diese lücke in der biographie seiner heldin in etwa 200 versen durch genealogien, beweise der unbefleckten empfängniss u. s. w. ausgefüllt und leitet damit über zu dem letzten theile, der uns hier ja allein angeht. Es steht nun fest, dass er für diesen abschnitt die latein. version der sage benutzt hat, die Tisch. als Trans. Mariae B bezeichnet hat.

Das gedicht des Conrad von Heimesfurt beginnt nach einer einleitung von 66 versen so:

Dô die heiligen zwelfboten,

Als in von gote wart geboten,
Sich wîte teilten in diu lant,
Dô wart in Âsîam gesant
Johannes êwangeliste.

Nach

Dieser setzt Milto als bischof von Sardes ein v. 79. einem berichte über dessen frommen bekehrungseifer (v. 81-105) erfahren wir (v. 111 f.), wie chorherren aus Lodicâ (= Laodicea) ihn bitten, v. III f., dass er

Darauf heisst es:

An einem brieve wider schribe
Von unser vrouwen, wâ si blibe.

Der heilege man Miltô

Schreip in hin wider alsô

Diu gewissen mære,

Als in ir pflegære

Sant Jôhannes wizzen lie;

Als tuon ich iu, gebiet irz hie.

1) Die bemerkungen über die ersten theile dieses werkes sind der ausgabe von Mancel et Treb. entnommen, auch citire ich das gedicht nach ders.

Durch den letzten vers hat der verf. selbst den Trans. Mariae B, der dem Melito von Sardes zugeschrieben wird, als seine quelle bezeichnet. Mit v. 119 beginnt der abschnitt des gedichtes, welcher sich inhaltlich mit der ältesten engl. version deckt.

Auch diese letztere folgt im wesentlichen dem Trans. Mariae B; es entsteht da aber die frage, ob der englische dichter seinen stoff direct aus dem lateinischen texte entnommen hat, oder etwa durch vermittelung des franz. oder mhd. gedichtes. Um diese frage zu lösen, werden wir natürlich nur etwaige pluszüge dieser beiden versionen und abweichungen derselben von latein. B in rücksicht zu ziehen haben.

Wace hat einige züge mit E gemeinsam, die in den übrigen versionen fehlen. Nur in diesen zwei fassungen wird erzählt, dass Maria während ihres aufenthaltes im tempel jungfrauen gepflegt und belehrt habe (franz. p. 60, f. = engl. B. v. 60 ff.).

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Eine weitere ähnlichkeit findet sich in der anrede Christi an seine mutter, kurz vor deren tode; es scheint nämlich, als hätte der englische dichter F. p. 716 f:

La poste d'aidier auras

A trestous ceus que tu vorras

dazu benützt, um in einer reihe von versen jedem sünder verzeihung zu verheissen, der sich an Maria wenden würde.

Ein dritter zug gehört nur scheinbar hierher. Wace verwendet gleich am anfang seines berichtes gegen 30 verse dazu, die kostbarkeit der jungfräulichkeit zu preisen und fügt hinzu, weil Johannes sie bewahrt habe, sei er Christo besonders theuer gewesen, und deshalb habe man auch später in seinem grabe statt seines leichnams manna gefunden, p. 605 f.:

Qui trova l'en, se manne non?

Ce nos raconte la leçon:
Manne resamble la blanchor,

Novele noif et blanche flor.

Man könnte nun meinen, eine reminiscenz an diese erörterung bei Wace sei der in dem haupttexte von Trans. B nicht betonte zug, dass auch im grabe Maria's manna anstatt ihres körpers gefunden wird. Aber dieser zug findet sich schon in den von Tischendorf p. 120f. zu Trans. A aus dem Laurent. (C) ausgehobenen varianten; es heisst da: Et respicientes in monumentum, et nihil viderunt nisi solummodo lapidem, qui erat plenus manna.

Dagegen stimmt E an mehreren stellen genauer zum latein, texte,

wo Wace erheblich gekürzt hat. Besonders stark gekürzt ist bei Wace die hauptpointe der erzählung, die himmelfahrt selbst. Er berichtet ganz kurz, dass nach der beerdigung Maria nicht mehr zu finden gewesen sei, p. 791 ff.:

El val de Josaphat le mistrent,
En I. sepucre entor s'asistrent,
Sempres fu d'iluec remuez,

Ne fu puis veuz ne trovez.

Dann hält er noch einmal an, um eine möglichkeit der auferstehung Maria's zu prüfen, verwendet dazu gegen 70 verse und recapitulirt den inhalt derselben in folgenden sechs zeilen, p. 826 ff.: Qui tout char de noient forma

Et plusors mors resucita,

Et Jonain en la mer sauva
Et les enfans el feu garda,
Bien puet donques resuciter
Sa mere vive el ciel porter.

Die dichtung schliesst hierauf mit einer anrufung gottes; von den aposteln ist nicht mehr die rede. Dass die, unserer inhaltsübersicht (o. p. 7) zufolge so ausführliche darstellung in E nicht aus dieser quelle stammen kann, liegt auf der hand, und es ergiebt sich daraus, dass Wace mindestens nicht die einzige oder auch nur die hauptvorlage des englischen dichters gewesen sein kann. Aber die vorhin aufgeführten wenigen stellen, wo E und W(ace) einige züge allein zu bieten schienen, sind nicht genügend, um überhaupt eine beeinflussung des Engländers durch Wace wahrscheinlich zu machen; sie werden durch die annahme einer gemeinsamen, für jetzt nicht nachweisbaren latein. quelle zu erklären sein.

Das mhd. gedicht steht am schlusse inhaltlich dem engl. viel näher als Wace und Trans. B; beide berichten übereinstimmend von dem erscheinen des apostels Thomas. Eine nähere verwandtschaft zwischen mhd. und E kann aber dieser umstand keinesweges begründen, da auch Trans. A von Thomas berichtet und die englische fassung der latein. viel näher steht, als die deutsche. Nachdem nämlich einmal Conrad oder seine quelle die himmelfahrt Mariae nach Trans. B reproducirt hatte, musste er die erzählung von Trans. A über Thomas so umformen, dass er mit dem früher erzählten nicht in widerspruch gerieth. Die deutsche fassung erzählt also wesentlich unterschieden von Trans. A und E, dass die apostel die himmelfahrt Maria's sahen. Sie bedauern Thomas, dass ihm diese gnade

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