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nen. Sind diese Ueberreste der ältesten indischen Poesie treu bewahrt, oder im Ganzen oder Einzel= nen interpolirt, oder defect? gehören die zu einem Hymnus verbundenen Verse wirklich ursprünglich zusammen oder ist in ihnen älteres und jüngeres verbunden? ist der oft so lockere Zusammenhang durch Verlust von Mittelgliedern entstanden? Sind die Lesearten des vor uns liegenden Tertes richtig? Diese und andre Fragen drängen sich uns jeden Augenblick auf, und wenn man auch eine Antwort im Allgemeinen, gestüßt auf die lange Zeit nur mündliche Bewahrung dieser Hymnen, geben kann, so ist damit für das Verständniß im Einzelnen doch noch wenig gewonnen. So unzweifelhaft z.B. wir auch berechtigt find, Interpolation sowohl als Verlust und Varianten anzunehmen, so unsicher bleibt, wenigstens für jeßt und wahrscheinlich noch für sehr lange Zeit, die Beantwortung der Fragen, was interpolirt sei, wo etwas fehle, wie ein oder das andre Wort zu ändern fei. Wenden wir uns an die philologische Thätigkeit der Inder selbst, so ist, so achtungswerth dieselbe auch im Allgemeinen ist, im Verhältniß zu den Forderungen heutiger Wissenschaft bei ihnen doch wenig von Erheblichkeit zur Befriedigung derselben zu finden, oder selbst zu erwarten. So hoch hinauf wir auch die Anfänge derselben, von welchen Spuren auf uns gekommen find, seßen, so liegt doch zwischen ihnen und der Abfassung der ältesten Theile der Veden sicherlich eine Kluft von mehreren, vielleicht vielen Jahrhun= derten. Die kritischen Fragen, welche für uns vom wichtigsten Interesse sind, waren für die indischen Interpreten natürlich ein noli me tangere. Die Beden waren in der Gestalt, in welcher fie ihnen vorlagen, eine göttliche Offenbarung; es würde ruchlos gewesen sein, die Richtigkeit derselben ir=

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gendwie zu bezweifeln. Nur in den Varianten, welche sich bezüglich ein und derselben Stelle in den verschiedenen Veden finden, wo insbesondre der Text des Sâma-Veda überaus stark von dem des Rig Veda abweicht, und vielleicht in denen des Naighant uka liegen uns Reste der gewiß einst viel größeren Anzahl von Varianten vor, welche auf dem Wege der mündlichen Ueberlieferung bis zu der Zeit, wo die Hymnen schriftlich gesammelt wurden, in sie gedrungen war. Die eigentliche Hermeneutik betreffend, so läßt sich von der einhei= mischen Thätigkeit natürlich größre Beihülfe ere warten, vornweg dürfte man sich wohl der Hoff= mung hingeben, daß die Tradition den Sinn von manchen Dunkelheiten bewahrt haben wird; allein selbst diese Hoffnung wird äußerst schwankend, wenn man das Verfahren betrachtet, welches die uns bekannte einheimische Interpretation eingeschlagen hat. Dieses ist bei Behandlung der Themen rein etymologisch; die Durchsichtigkeit und Jungfräulichkeit wenigstens im Verhältniß zu den verwand= ten Sprachen des Sanskrit macht dieses Ver= fahren zwar minder schlüpfrig, als es in andern Fällen sein würde; allein dem sei wie ihm wolle, man kann schon daraus vermuthen, daß der Interpretation keine Tradition fest genug gegenübertrat, um fie vor Mißgriffen zu hüten, welchen das rein etymologische Verfahren nothwendig ausgesezt ist. Man könnte zwar meinen, daß ihr die Bedeutung mancher dunkler Wörter überliefert_ge= wesen sei, und sie nur sich bestrebt hätte, die Tra= dition wissenschaftlich zu bekräftigen, allein wenn man sieht, daß wo verschiedne Etymologien gleich berechtigt scheinen, fie auch über die zu gebende oder anzunehmende Bedeutung schwankt, so muß man für die allermeisten Fälle diese Suppofition [118 *]

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aufgeben. Wo die Tradition sie im Stich ließ, könnte man nun ferner geneigt sein, anzunehmen, hätten die einheimischen Erklärer in einer größeren Anzahl von aus der Zeit der Vedenhymnen her= rührenden Texten Hülfsmittel gefunden, die Bedeutung der Themen zu bestimmen. Ob solche zur Zeit der Anfänge der uns bekannten Interpreta= tion existirten oder nicht, werden wir nicht nigstens für jezt noch nicht entscheiden können; allein das kann man schon jest sagen, daß wo die angenommene Bedeutung eines Wortes nicht auf Tradition oder Etymologie, sondern auf Verglei= chung von Stellen, in welchen es vorkommt, zu beruhen scheint, diese Stellen - wenigstens größ= tentheils in hinlänglicher Zahl sich im Rig= Veda finden. Bezüglich der grammatischen Deu= tung werden wir durch die Willkürlichkeiten, welche fich in diesem Betracht im indischen Commentar finden, fast jeden Augenblick daran gemahnt, ihm unser Vertrauen zu entziehen, ja faßt zu dem Schluß genöthigt, daß wenn die indische Interpretation hier so willkürlich und vielfach nachlässig verfuhr, fie auch in Fragen der höheren Hermeneutik wenig Berlaß gewähre. Und so ist es vornweg bezüglich des allgemeinen Gesichtspunktes, von welchem aus die einheimische Interpretation die Hymnen des Beda auffaßt. Ihr ist die Religion und das Le= ben, welche hier hervortreten, identisch mit ihren eigenen, während sich ein grellerer Gegensaß kaum denken läßt; wo dieser zu augenfällig ist, müssen spitfindige Vermittelungen aushelfen. Es kann hier nicht der Ort sein, genauer zu untersuchen, wie viel die einheimische Erläuterung zum Ver= ständniß der Vedenhymnen beiträgt, allein schon nach dem Bemerkten wird man erkennen, daß sie uns nur in sehr wenigen, vielleicht in keiner Be=

ziehung die Arbeit erleichtert und daß wir, wenn wir sie auch noch so sehr benußen, doch stets ge= nöthigt find alles zum Verständniß Nothwendige oder Dienliche so vorzukehren, als ob die einheimi= sche Interpretation gar nicht vorhanden wäre. Aber um von einem so unabhängigen Standpunkt aus, rein aus diesen Hymnen selbst, sie nur durch die in ihnen selbst liegenden Hülfen, zu verstehn, bedarf es eines tiefen Hineinlesens; und ehe sich daraus, wenn auch nur subjective Ueberzeugungen und Auffassungen in Bezug auf die hieher gehörigen Punkte gebildet haben, wird eine ziemliche Zeit verfließen, eine noch längere, ehe sich diese bis zu einem gewissen Grade auch erweisen lassen werden.

Hr Langlois hat sich schon seit langer Zeit mit einer Uebersehung des Rig - Veda beschäftigt und sich durch diese lange Beschäftigung in der That tief in die Beden hineinstudirt. Sie haben dadurch für ihn bedeutend an Klarheit gewonnen und diese Klarheit tritt, wie man dieses von einem Franzosen nicht anders erwarten kann, auch in der Ue= berseßung schlagend hervor, so daß, wo der Sinn des Originals getroffen ist, er uns in die unmit= telbarste Nähe gerückt wird, ja, ich will nicht bergen, bisweilen selbst näher als eigentlich erlaubt wäre, d. h. modernifirt wird. Allein Klarheit war die Hauptaufgabe, welche sich Hr Langlois gestellt hatte Ma première ambition, heißt es Vorrede XVI, a été d'être clair et j'ai cru que les poëtes de la nature devaient être, comme elle, simples et positifs. Au lieu de rester dans un sens vague et mystérieux, j'ai cherché sous des mots obscurs une pensée que j'ai crue vraie, parcequ'elle me paraissait avoir un corps und man muß zugestehn, daß er diese Aufgabe erfüllt hat. Die Uebersehung leidet fast

an keiner Stelle an Dunkelheit und man hat da= durch wenigstens den entschiedenen Vortheil, daß. man immer weiß, wie Herr Langlois eine Stelle aufgefaßt hat. Die vorliegenden zwei Bände dieser Ueberseßung umfassen schon die Hälfte des Rig= Veda, vier Bücher desselben. Für das erste Buch standen Hrn Langlois außer dem indischen Com= mentar noch Rosen's und theils Stevenson's Bear= beitungen zu Gebot; bei den drei übrigen war er auf die indischen Hülfsmittel beschränkt. So weit wir aus der Ueberseßung des ersten Buches schlie= ßen dürfen, für welches der indische Commentar in der Müller'schen Ausgabe vorliegt, folgt Hr Lan= glois vielfach, doch keinesweges sclavisch, den indi= schen Erklärern; nicht selten geht er seinen eignen Weg.- Hrn Wilson's Ueberseßung umfaßt erst das erste Buch und wird nach Maßgabe der Müller'schen Ausgabe vorwärts schreiten. Insofern auch jeder selbständigen Deutung der Veden dennoch nothwendig eine vollständige Kenntniß der einhei= mischen Erklärung vorhergehn soll, hat Hr Wilson schon im Allgemeinen nicht Unrecht, es als einen Vorzug seiner Ueberseßung anzusehn, daß fie auf einer, so weit es die jeßigen Hülfsmittel erlauben, Fritischen Ausgabe des indischen Commentars ba= firt, während dieser dem Herrn Langlois nur in mangelhaften Handschriften vorlag; für Hrn Wilson war diese zuverlässigere Ausgabe des Commentars aber um so wichtiger, da derselbe die Basis seiner Ueberseßung bildet; er sagt dies ausdrücklich Vorrede XLIX und fügt als Grund seines Ver= fahrens an: »>for although the interpretation of Sâyana (des Verfassers des indischen Commen= tars) may be occasionally questioned, he undoubtedly had a knowledge of his text far beyond the pretensions of any European scho

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