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9.

Die Sympathie wirkt daher plößlich, und verräth allezeit einen sehr geringen Grad von Scharfsinn *).

10.

Die ganze Liebe der Thiere gegen einander ist Sympathie. Und man sollte sagen, daß man, vermöge der Sympathie, nicht sowohl sich an eines andern, als den andern an seine Stelle seye.

11.

Was hat aber der Genuß der venerischen Wollust mit der Liebe ge= mein, daß man ihn des Namens der Liebe gewürdigt hat? Seßt er die wahre Liebe voraus? oder sollte er sie doch wenigstens vorausseßen? Keins von beiden. Das Wesen der Liebe besteht darin, daß ich das Vergnügen der geliebten Person für das meinige, und mein Vergnügen für das ihrige halte. Nun aber findet sich eine ähnliche Erscheinung bei der venerischen Wollust; die angenehmen Empfindungen der einen Person find von den angenehmen Empfindungen der andern unzertrennlich; die einen reißen und unterhalten die andern; keins von beiden weiß, ob es mehr Vergnügen erhält oder mittheilt **). Und aus dieser ähnlichen Erscheinung kömmt es, daß man den Beischlaf zu einer Art von Liebe

*

*) Aber einen desto größern Grad von Wiz

Mendelssohn.

**) Ich kann mit dieser Erklärungsart noch nicht völlig einstimmen. Folgende Beispiele scheinen mir ihre Unzulänglichkeit darzuthun.

1) Die Liebe zu den Kindern, die bey vielen Leuten heftiger Affekt ist.

2) Die Freude über die Unwiffenheit meines Freundes in Ansehung einer Gefahr, die ihm bevorstehet. Wir unterscheiden uns in diesem Falle auch allzudeutlich.

3) Wir personificiren öfters das menschliche Geschlecht, unser Vaterland u. s. w. und ertheilen dem abstrakten Begriff vom Menschen überhaupt oder von dem Vaterlande die Individualität, um an dessen Schicksale Theil zu nehmen Nach der. Wolfischen Erklärung läßt sich dieses leicht begreifen, Wollen Sie aber behaupten, daß wir uns von dieser erdichteten Person nicht unterscheiden können?

4) Der Mensch befindet sich in dem Zustande der verwirrten Begriffe, wenn er seine Vorstellungen zwar von sich, aber nicht von einander unterscheiden kann. Er bleibt sich alsdann seiner bewußt, aber die Dinge die er sich vorstellt, kann er nicht von einander unterscheiden. In dem Zustande der völlig dunklen Begriffe aber, können wir die Vorstellungen sogar von uns selbst nicht unterscheiden, und das Bewußtseyn hört auf. Wollen Sie also annehmen, daß sich bey der Liebe alle unsere Vorstellungen völlig verdunkeln, dergestalt, daß sie sogar das Bewußtseyn aufheben? Die allergrößte Aehnlichkeit der Vorstellungen mit uns selbst hebt das Bewußtseyn nicht auf, daß wir nicht das innig find, was wir uns vorstellen; sonst würde sie unsere Begriffe völlig verdunkeln, welches doch bey der Liebe nicht geschicht, wenn sie nicht mit einer körperlichen Wolluft verbunden ist. Ist aber dieses, so hat die Verdunkelung gewiß einen ganz andern Grund, als die Achnlichkeit. Mendelssohn.

gemacht. Er ist es auch in den kurzen Augenblicken seiner Dauer wirklich, und vielleicht die intimste Liebe in der ganzen Natur.

Von dem Hasse.

Die Schwierigkeiten bey der gemeinen Erklärung des Hasses scheinen mir noch weit größer zu seyn, als bey der gemeinen Erklärung der Liebe, Der Haß, fagt man, ist das Vermögen (dispositio) der Seele, aus eines andern Unglück Vergnügen zu schöpfen *).

Unglück ist Unvollkommenheit — Und also können wir auch aus der Unvollkommenheit Vergnügen schöpfen? und also ist das Vergnügen nicht bloß die anschauende Erkenntniß einer Vollkommenheit? Ich weiß gar nicht, was ich hierbey denken soll **).

Unterdessen hat mich meine Erklärung der Liebe auf eine ähnliche Erklärung des Hasses geleitet, bey der ich einen dergleichen Widerspruch nicht verdauen darf ***).

So wie ich mir bey der Liebe, des Unterschiedes zwischen mir und der geliebten Person nicht bewußt bin, so bin ich mir hingegen dieses Unterschiedes zwischen mir und der gehaßten Person nur allzusehr bewußt.

Da ich mir nun die Person, die ich hasse, als eine solche denke, die von mir völlig unterschieden ist, so kann es nicht fehlen †), daß nicht der Begriff einer Vollkommenheit in ihr, in mir den Begriff einer Unvollkommenheit, und umgekehrt der Begriff einer Unvollkommenheit in ihr, in mir den Begriff einer Vollkommenheit erwecken sollte. Geschähe dieses nicht, so würde ich die gehaßte Person mir gleich und nicht von mir unterschieden denken, welches wider die Voraussetzung ist ††)

*) Wolf nennet dispositio die Bereitschaft. Mendelssohn.

**) Dieser Einwurf ist zur Genüge beantwortet worden. Mendelssohn.

***) Sie sollen zugleich an die Ursachen der Feindschaft gedenken, die Wolf mit gutem Vorbedacht nicht hat wollen in die Definition des Hafses bringen Die nächste Ursache des Hafses ist die Betrachtung, daß der Glücksstand dieses Menschen mir oder andern Menschen, die ich liebe, schädlich seyn kann, und zwar durch Verschulden, indem ich ihn als moralisch unvollkommen erkannt habe. Mendelssohn.

1) Wie folgt dieses? Daraus daß eine andere Person von mir unterschieden ist, folgt keineswegs, daß sie mir völlig entgegengesezt sey; und völlig entgegengeseßt müssen sich die Personen zweyer Feinde seyn, wenn Ihre Erklärung richtig seyn soll. Mendelssohn.

++) Ich sehe nicht ein wie dieses folgt. Warum kann ich mit meinem Feinde über Recht und Unrecht, über Wahr und Falsch einstimmig feyn? Warum trennen wir uns nur alsvann, wenn es Urtheile über Vollkommenheit oder Unvollkommenheit betrifft, die einen von uns felbft angehen? Mendelssohn.

Wir freuen uns folglich nicht über des Feindes Unvollkommenheit, sondern über unsere Vollkommenheit, die wir uns bey jener gedenken. Und so auch mit unserm Verdrusse über die Vollkommenheit des Feindes.

Wenn meine Erklärung der Liebe den Menschen erniedriget, so erhöht ihn meine Erklärung des Hasses um eben so viel; da ich ihn von einer so abscheulichen Eigenschaft, an einer Vollkommenheit Mißvergnügen zu finden, weil diese Vollkommenheit einem andern gehört, losspreche. Der wahre Werth des Menschen kann bey keiner Wahrheit verlieren. *)

--

*) Ihre Erklärung von der Liebe ist nicht so sehr zu verwerfen, als die vom Hafse. Denn ich hasse einen Menschen, der beständig den bösen Vorsaß hat mir zu schaden, der also in dem Urtheile über meine Vollkommenheit von mir abgehet. Wie kömmt es aber, daß ich zur Vergeltung auch in Ansehung der Urtheile über seine Vollkommenheit von ihm abgehe? Worauf gründet sich dieses jus talionis? Die Unähnlichkeit zwischen zwey Menschen kann doch unmöglich totalis seyn. Sie müssen also annehmen, daß in dem Stande der dunklen Vorstellungen der Begriff der Unähnlichkeit blos prädominirt, Wir sind also zwey Personen, die zwar von einander unterschieden, aber nicht einander entgegengeseßt sind.

Mendelssohn.

Leibnit.'

Chronologische Umstände seines Lebens.

Er hat sein Leben selbst beschreiben wollen, wie aus seinem Briefe an Pelisson sur la Tolerance zu ersehen. Geboren 1646.

Zu Leipzig profitirte er das Meiste von Jacob Thomasio, und in Jena von Erhard Weigeln.

1664 wurde er Magister Philosophiae zu Leipzig, nachdem er vorher de principio individui disputirt.

1666 disputirte er zu Leipzig pro facultate de complexionibus, nachdem er vorher über quaestiones ex jure collectas und de conditionibus disputirt hatte.

1666 erschien auch seine ars combinatoria. Diefer war beigefügt: demonstratio existentiae Dei ad mathematicam certitudinem exacta.

1666 ward er in Altorf Doctor Juris, nachdem er in Leipzig Repuls bekommen, und disputirte de casibus perplexis in jure.

1666 ging er von da nach Nürnberg, und schaffte sich auf die bekannte Art Zutritt bei der alchymistischen Gesellschaft, wie Brucker sagt.

Der Prediger daselbst, Justus Jacob Leibnitz, der Memorabilia Bibliothecae Norimbergensis geschrieben, und dessen Freundschaft sichh Leibnit erwarb, war kein Verwandter von ihm, sondern nur ein bloßer Namensvetter.

Zu Nürnberg lernte er auch Boineburgen kennen, welcher ihm Hoffnung machte, in die Dienste des Churfürsten von Mainz zu kommen, weswegen er sich nach Frankfurt begab, um ba in der Ruhe zu seyn.

Bessings Beben II, S. 172-191.

1668 gab er heraus novam methodum docendae discendaeque jurisprudentiae cum catalogo desideratorum in jurisprudentia, und bald darauf: Corporis juris reconcinnandi rationem. Um eben diese Zeit wollte er auch Alstedii Encyclopaediam verbessern und vermehren, bei welcher Arbeit ihm Hasenthaler helfen sollte. Auf dieses Projekt kam er auch noch in seinem Alter wieder zurüd.

1669 schrieb er für den Prinzen von Pfalz-Neuburg das Specimen demonstrationum politicarum pro eligendo rege Polonorum, nachdem Johannes Cafimirus abgedankt hatte.

In eben dem Jahre gab er den Nizolium de veris principiis et vera ratione philosophandi contra Pseudophilosophos heraus.

1670 ward er Hofrath des Churfürsten von Mainz.

1671 kam er zuerst in die Bekanntschaft des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg, Johann Friedrichs, Kalenbergischer Linie, und schrieb die defensionem logicam S. S. Trinitatis, desgleichen Hypothesin physicam novam seu theoriam motus concreti. Das letztere hat Christian Knorr, der Verfasser der fabulae denudatae, unter dem Nahmen Christ. Peganius Deutsch übersetzt, und seiner Uebersetzung von Browns Pseudodoxia epidemica beigefügt. Erst nachher erschien seine Theoria motus abstracti, in welcher schon mancher Samen zu seiner ihm nachher eigenen Philosophie enthalten ist: das omne corpus esse mentem momentaneam seu carentem recordatione etc. Ungefähr aus dieser Zeit ist seine Notitia opticae promotae.

1672 schickte ihn Boineburg mit seinem Sohne nach Frankreich. Hier gab ihm die Bekanntschaft mit Huygens Anlaß, daß er sich erst recht auf die Mathematik legte. Doch ließ er sich auch bereden, den Martianus Capella in usum Delphini auszuarbeiten, ob er schon überhaupt das kostbare Unternehmen dieser Ausgaben mißbilligte, und glaubte, daß man das Geld besser für die Wissenschaften anwenden könnte, besonders zur nähern Kenntniß der Natur.

1673 ging er von Frankreich nach England, nachdem Boineburg gestorben, und man ihn vergebens in Frankreich zu behalten suchte, weil er die Religion nicht ändern wollte.

Hier in England beschäftigte er sich schon mit seiner Rechenmaschine. Aber in eben dem Jahre starb der Churfürst zu Mainz, und Leibnitz kam außer Dienst und Pension. Er ging also wieder nach Paris zurüð,

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