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hat, oder eine gewisse Reihe auf einander folgender Tage, Wochen und Monathe. Sie hören gleich, H. V., daß die Meßkünstler das Jahr nur nach ihrer Größe betrachten; hier aber werde ich nicht den geringsten Widerspruch besorgen dürfen, wenn ich sage, daß ein Jahr bis auf einen geringen Unterschied so groß sey, wie das andere. Ein Naturverständiger hingegen versteht durch ein Jahr diejenigen Wirkungen, welche die Natur einen Frühling, Sommer, Herbst und Winter hindurch hervorzubringen pflegt. Ein Sittenlehrer aber redet im verblümten Verstande, wenn er ein Jahr gut oder böse, gleich oder ungleich nennet. Er versteht dadurch die guten und bösen Zufälle, die guten und bösen Handlungen der Menschen, welche die zwölf Monathe hindurch geschehen sind. Sie können leicht ermessen, H. V., daß ich hier die Jahre als ein Naturkündiger und Sittenlehrer ansehe, wenn ich zu behaupten suche, daß eins dem andern gleich sey. Sie können auch leicht einsehen, daß in diesem Verstande ein Jahr dem andern gleich sey, wenn es einerley Kräfte und Wirkungen, einerlei Zufälle, einerlei Handlungen, einerlei Absichten und Mittel mit dem andern aufzuweisen hat. Und, o! wie leicht wird mir es seyn, die Gleichheit der Jahre zu erweisen, da ich den deutlichen Ausspruch der gesunden Bernunft, das göttliche Zeugniß der heiligen Schrift, und den unverwerflichen Beifall der Erfahrung auf meiner Seite habe. Niemand läugnet, daß Gott der Schöpfer dieser Welt seh; niemand läugnet, daß Gott die Welt sehr gut erschaffen habe; niemand läugnet, daß sehr gut sehn, eben so viel heiße, als in seiner Art die größte Vollkommenheit besitzen. Hat aber die Welt in ihrer Art die größte Vollkommenheit, so werde ich ohne Bedenken sagen können, daß alles was in der Welt zugleich ist und auf einander folget, mit einander übereinstimmen müsse; und daß die Welt, so lange sie nach des Schöpfers Willen Welt bleiben soll, keine Hauptveränderung leiden könne. Denn hierin bestehet eben die wesentliche Vollkommenheit eines Dinges. Geschiehet nun in der Welt keine Hauptveränderung; stimmt in derselben alles mit einander überein: so ist nichts leichter, als den Schluß zu machen, daß auch die Jahre in der Welt mit einander übereinstimmen, daß eins dem andern gleich seyn müsse. Eben so, wie man nur diejenige Uhr vollkommen zu nennen pflegt, in welcher eine Minute, eine Stunde, ein Tag mit dem andern genau und richtig übereinstimmt. Dieser Beweis führet mich unvermerkt zu einem andern. Wir wissen und empfinden es, daß Gott nicht allein der Schöpfer, sondern

auch der Erhalter aller Dinge ist. Es erhält aber derselbe die Welt durch eine Menge gewiffer Kräfte, welche er derselben anerschaffen hat. Alle diese Kräfte sind noch in eben der Menge und Beschaffenheit vorhanden, als sie im Anfange der Welt gewesen sind. Sie sind noch in eben der Menge da, sonst müßten sie sich entweder selbst vermindert haben, oder Gott müßte sie durch seine Allmacht in ihr voriges Nichts verwan= delt haben. Das erste ist nicht möglich, weil diese Kräfte nicht die Allmacht haben, die zu ihrer Zernichtung nöthig wäre. Das andere aber ist nicht glaublich, weil man nicht den geringsten Grund der Wahrscheinlichkeit angeben kann, daß Gott dieselben vermindern wollen, und aus was für einer Absicht er solches gethan hätte. Sie sind auch noch in eben der Beschaffenheit vorhanden; sonst würden sie andere Wirkungen hervorbringen müssen, welches der Erfahrung widerspricht. Sind also alle Kräfte, wodurch Gott die Welt in ihrem Wesen erhält, sowohl in ihrer Menge als Beschaffenheit annoch vorhanden, so müssen sie auch wirken. Sonst wären sie ohne Nußen und ohne Absicht da, welches der Weisheit Gottes zuwider liefe. Ja sie müssen auch Wirkungen hervorbringen, die ihnen gleich sind; sonst hätte sich ihre Beschaffenheit verändert. Zweifelt also niemand daran, daß vom Anfange der Welt bis auf unsere Tage einerlei Kräfte und einerlei Wirkungen derselben gewesen sind; o! wer wollte doch Bedenken tragen, sicher zu schließen, es müsse auch ein Jahr dem andern gleich seyn; weil eins wie das andere einerlei Wirkungen, einerlei Kräfte der Natur aufzuweisen hat.

Sie belieben nunmehr mich mit Dero gütiger Aufmerksamkeit weiter zu begleiten. Die Menschen haben ihre Natur, ihre Menschlichkeit niemals verändert und abgelegt; die heutigen Einwohner der Welt befinden sich in eben den Hauptumständen, in welchen ihre ersten Väter vor fünftausend Jahren standen. Sie haben noch eben die wesentlichen Theile, eben die Seele, eben den Leib, eben den Verstand und Willen, eben die Hauptneigungen, eben die Mängel und Vollkommenheiten, eben die Absichten, warum sie der Schöpfer in die Welt gesezt, eben die Mittel, die ihnen Gott zur Erlangung derselben gegeben, eben die Hindernisse und das Verderben, eben die Wege zur Weisheit und Thorheit, zur Tugend und zum Laster, zur Ruhe und zur Unruhe, zur Glückseligkeit und Verderben, welche jene ersten Besißer der Erde hatten. Ist es auch glaublich, H. V., daß einerlei Samen unterschiedene Früchte trage, daß

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einerlei Quellen unterschiedene Wasser hervorbringen, und ist es auch wahrscheinlich, daß aus einerlei guten und bösen Herzen, aus einerlei guten und bösen Absichten und Mitteln, aus einerlei guten und bösen Bewegungsgründen, unterschiedene gute und böse Handlungen, und aus diesen wiederum unterschiedene gute und böse Zufälle entspringen können? Ich weiß es, Sie geben mir gerne Beifall, wenn ich sage, daß die Handlungen und Zufälle unserer jett lebenden Brüder und unserer uralten Vorfahren bis auf einige sehr geringe Nebenumstände eine sehr genaue Gleichheit haben, wir wollten uns denn bereden lassen, die Menschen hätten jezt aufgehört, Menschen zu seyn. Sie erlauben also, daß ich weiter schließe. Sind die guten und bösen Umstände, Neigungen, Handlungen, und Zufälle aller Menschen; sie mögen leben wo sie wollen, einander gleich; so werden auch die Jahre, in denen sie leben, und in welchen sie geschehen, einander gleich seyn. Ich behaupte dieses um so viel mehr, da ich einen Zeugen auf meiner Seite habe, welchen Dero Glaube und Frömmigkeit nicht verwerfen kann. Ein Zeuge, durch den der Geist der Wahrheit redet, der König, dessen Weisheit nicht nur ehemals die Welt bewunderte, sondern welchen auch noch jetzt Juden und Christen in tiefer Ehrerbietung verehren, ein Salomo, durch welchen uns Gott den Prediger aufzeichnen lassen, versichert uns eben dieses (*). Was ist es, spricht er, das geschehen ist? Eben das, das hernach geschehen wird. Was ist es, daß man gethan hat? Eben das, was mancher noch wieder thun wird; und es geschiehet nichts neues unter der Sonnen. Geschiehet auch etwas, davon man sagen möchte: Siehe, das ift neu? Denn es ist zuvor auch geschehn in den vorigen Zeiten, die vor uns gewesen sind. Kann ich nicht hieraus recht sicher schließen? geschiehet nichts neues unter der Sonnen, geschiehet in unseren Zeiten nichts, das nicht schon in den vorigen Zeiten geschehen wäre; thut man in unsern Tagen nichts, das man nicht schon in den vorigen Tagen der Welt gethan hätte: so müssen auch die Jahre, in welchen es geschieht und gethan wird, einander gleich seyn. Doch sollte sich auch jemand finden, welcher sich nicht scheuete, Vernunft und Schrift in Zweifel zu ziehen, so würde sich doch niemand getrauen können, der Stimme der Erfahrung zu widersprechen. Man lese nur die alten und neuen Geschichten, welche

(*) Prediger Sal. 1, 9. 10.

geschickte und redliche Männer mit Sorgfalt aufgezeichnet haben; man halte sie gegen einander, und man urtheile unpartheiisch. Wird man nicht gestehen müssen, daß uns in beiden einerlei Bewegungen und Wirkungen der Natur, einerlei gute und böse Handlungen der Menschen, einerlei glückliche und unglückliche Zufälle und Begebenheiten vorgestellt werden? Werden wir nicht mit Ueberzeugung ausrufen müssen, es ge= schiehet nichts neues unter der Sonnen; darum ist ein Jahr dem andern gleich! Ja ich frage euch, ihr Brüder, die ihr jezt durch Gottes Gnade ein neues Jahr zu leben anfangt, sprecht selbst, ob in dem vergangenen Jahre etwas vorgefallen, geschehen und gethan sey, welches nicht auch in den vorigen Tagen geschehen, und in den künftigen Jahren sich zutragen wird? Wenn es gleich nicht in unserm Vaterlande, in unserm Welttheile geschehen ist; denn bei dieser Betrachtung müssen wir die Welt als einen Ort ansehen. Wird man also nicht aufrichtig gestehen müssen, ein Jahr sey dem andern gleich, weil Vernunft, Schrift und Erfahrung hier zusammen treten, und solches einstimmig versichern. Doch ich kann leicht voraussehen, daß meine Meinung bei Einigen Widerspruch finden wird. Man wird mir einwenden, daß nicht ein Jahr dem andern gleich seyn könne. Man wird mir die Wunder der göttlichen Allmacht entgegenseßen, welche gewisse Jahre von den andern unendlich unterscheiden. Man wird die Landplagen zu Beweisen anführen; man wird sich auf die Zeiten der Barbarei berufen. Man wird den Ausspruch eines erleuchteten Paulus entgegensetzen, welcher vorher gesagt (*), daß in den letzten Tagen gräuliche Zeiten kommen werden. Allein alle diese Zweifel werden wegfallen, wenn man erwägt, daß ich hier nicht von den außerordentlichen Wirkungen der Allmacht-Gottes, welche selten geschehen, sondern von den ordentlichen Wirkungen der Natur rede. Wenn man voraussetzt, daß ich nicht von einzelnen Theilen des Erdbodens, sondern von der ganzen Welt überhaupt spreche. Und ich rede mit der Erfahrung, wenn ich behaupte, daß fast kein Jahr zu finden, in welchem man nicht in einem Theile der Welt den Anfall der Landplagen empfunden habe. Denn auch diese sind Mittel, wodurch die weiseste Vorsehung Gottes die Welt in ihrer Vollkommenheit zu erhalten pflegt. Die Barbarei hat auch keine Hauptveränderung in der Zeit gemacht. Die Erfahrung behauptet, daß dieselbe nur in

(*) 2. Timoth 3, 1.

gewissen Theilen der Welt geherrscht, so lange fast die Welt steht. Was endlich das Zeugniß des heiligen Paulus anlangt, so widerspricht dasselbe meinem Saße nicht. Denn der heilige Gesandte Gottes saget nichts mehr, als daß die Tage des neuen Bundes eben so wenig als die Tage des alten Testaments von allen Irrthümern, Lastern und bösen Menschen frei seyn würden. Er führt auch lauter solche Laster an, die nicht neu, sondern alt sind, und welche er schon in dem Anfange seines Briefes an die Römer bestrafet. Kurz, Timotheus wird von ihm ermahnet, dergleichen lasterhafte Menschen zu meiden. Darum müssen sie zu Timotheus Zeiten gelebt haben. Es bleibt also dabei, daß ein Jahr dem andern gleich sey. Ist dieses wahr, o wie wenig Grund bleibt uns noch übrig, die Tage unserer Väter als die goldenen, die besten, die glückseligsten mit neidischen Augen anzusehen und mit seufzender Stimme andern anzupreisen! Warum scheuen wir uns nicht, mißvergnügte Verläumder und undankbare Berächter unserer Jahre zu sehn? Warum schreien wir dieselben als eiserne, als schlimme, als unglückselige Zeiten aus? Warum seufzen wir so ängstlich voller Unzufriedenheit nach bessern Zeiten? da doch unsere Tage durch Gottes weise Güte besser sind, als wir sie verdienen, und es nur an uns liegt, daß wir dieselben nicht besser gebrauchen und uns zu Nuge machen. Warum hoffen wir ohne genugsamen Grund? Warum lassen wir uns endlich nicht als vernünftige Menschen den heiligen Willen Gottes, seine weise Einrichtung der Welt, seine weise Regierung der Zeit in zufriedener Gelassenheit gefallen, und bedienen uns der Jahre, die uns die weise Vorsehung gönnet und die für uns allezeit die besten sind? So wie es unsere Gemüthsruhe, die allgemeine Wohlfahrt und unsere Glückseligkeit erfordert. Kluge Christen, glückliche Seelen, die sich in die Zeit zu schicken wissen; unglückliche Thoren, welche ohne Noth klagen und ohne Grund hoffen! Sie, H. V., haben nunmehr wiederum ein Jahr geendet, das dem vorigen gleich ist. Sie haben durch Gottes Gnade ein neues angefangen, bei dem ich schon im Voraus so viel Aehnlichkeit mit dem vergangenen und zukünftigen erblicke, daß ich fast Bedenken trage, dasselbe ein neues Jahr zu nennen. Das alte Jahr war voll von den ehrwürdigen Wundern der Weisheit, Macht und Güte Gottes, deren Sie und alle die Unsrigen erfreute Zeugen sind, und das neue wird daran nicht leer sehn, wie wir sicher hoffen können. Die Kräfte der Natur sind auf den Wink der höchsten Vorsehung im vergangenen Jahre geschäftig

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