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aber an dem äusserlichen Blendwerke hängen blieben, und Gott für ein Wesen hielten, das nicht leben könne, wenn sie ihm nicht seine Morgenund Abendopfer brächten.

Wer konnte die Welt aus ihrer Dunkelheit reissen? Wer konnte der Wahrheit den Aberglauben besiegen helfen? Kein Sterblicher. Oɛos ἀπο μηχανης.

Christus kam also. Man vergönne mir, daß ich ihn hier nur als einen von Gott erleuchteten Lehrer ansehen darf. Waren seine Absichten etwas anders, als die Religion in ihrer Lauterkeit wieder herzustellen, und sie in diejenigen Gränzen einzuschließen, in welchen sie desto heilsamere und allgemeinere Wirkungen hervorbringt, je enger die Gränzen find? Gott ist ein Geist, den sollt ihr im Geist anbeten. Auf was drang er mehr als hierauf? und welcher Saß ist vermögender alle Arten der Religion zu verbinden, als dieser? Aber eben diese Verbindung war es, welche Priester und Schriftgelehrten wider ihn erbitterte. Pilatus, er lästert unsern Gott; kreußige ihn! Und aufgebrachten Priestern schlägt ein schlauer Pilatus nichts ab.

Ich sage es noch einmal, ich betrachte hier Christum nur als einen von Gott erleuchteten Lehrer. Ich lehne aber alle schreckliche Folgerungen von mir ab, welche die Bosheit daraus ziehen könnte.

Das erste Jahrhundert war so glücklich Leute zu sehen, die in der strengsten Tugend einhergiengen, die Gott in allen ihren Handlungen lobten, die ihm auch für das schmählichste Unglück dankten, die sich um die Wette bestrebten, die Wahrheit mit ihrem Blute zu versiegeln.

Allein so bald man müde wurde, sie zu verfolgen, so bald wurden die Christen müde, tugendhaft zu seyn. Sie bekamen nach und nach die Oberhand und glaubten, daß sie nun zu nichts weniger als zu ihrer ersten heiligen Lebensart verbunden wären. Sie waren dem Sieger gleich, der durch gewisse anlockende Maximen sich Völker unterwürfig macht; so bald sie sich ihm aber unterworfen haben, diese Maximen zu seinem eigenen Schaden verläßt.

Das Schwerdt nußt man im Kriege, und im Frieden trägt man es zur Zierde. Im Kriege sorgt man nur, daß es scharf ist. Im Frieden put man es aus, und giebt ihm durch Gold und Edelsteine einen falschen Werth.

So lange die Kirche Krieg hatte, so lange war sie bedacht, durch

ein unsträfliches und wunderbares Leben, ihrer Religion diejenige Schärfe zu geben, der wenig Feinde zu widerstehen fähig sind. So bald fie Friede bekam, so bald fiel sie darauf, ihre Religion auszuschmücken, ihre Lehrfäße in eine gewisse Ordnung zu bringen, und die göttliche Wahrheit mit menschlichen Beweisen zu unterstüßen.

In diesen Bemühungen war sie so glücklich, als man es nur hoffen konnte. Rom, das vorher allen besiegten Völkern ihre väterlichen Götter ließ, das sie sogar zu seinen Göttern machte, und durch dieses kluge Berfahren höher als durch seine Macht stieg, Rom ward auf einmal zu einem verabscheuungswürdigen Tyrannen der Gewissen. Und dieses, so viel ich einsehe, war die vornehmste Ursache, warum das römische Reich von einem Kaiser zu dem andern immer mehr und mehr fiel. Doch diese Betrachtung gehöret nicht zu meinem Zweck. Ich wollte nur wünschen, daß ich meinen Leser Schritt vor Schritt durch alle Jahrhunderte führen und ihm zeigen könnte, wie das ausübende Christenthum von Tag zu Tag abgenommen hat, da unterdessen das beschauende durch phantastische Grillen und menschliche Erweiterungen zu einer Höhe stieg, zu welcher der Aberglaube noch nie eine Religion gebracht hat. Alleshieng von einem Einzigen ab, der desto öfterer irrte, je sicherer er irren konnte.

Man kennt diejenigen, die in diesen unwürdigen Zeiten zuerst wieder mit ihren eigenen Augen sehen wollten. Der menschliche Verstand läßt sich zwar ein Joch auflegen; so bald man es ihm aber zu sehr fühlen läßt, so bald schüttelt er es ab. Huß und einige andre, die das Ansehen des Statthalters Chrifti nur in diesem und jenem Stücke zweifelhaft machten, waren die gewissen Vorboten von Männern, welche es glücklicher gänzlich über den Haufen werfen würden.

Sie kamen. Welch feindseliges Schicksal mußte zwey Männer über Worte, über ein Nichts uneinig werden lassen, welche am gefchicktesten gewesen wären, die Religion in ihrem eigenthümlichen Glanze wieder herzustellen, wenn fie mit vereinigten Kräften gearbeitet hätten? Selige Männer, die undankbaren Nachkommen sehen bey eurem Lichte, und verachten euch. Ihr waret es, die ihr die wankenden Kronen auf den Häuptern der Könige feste settet, und man verlacht euch als die kleinsten, eigennützigsten Geister.

Doch die Wahrheit soll beh meinem Lobspruche nicht leiden. Wie

kam es, daß Tugend und Heiligkeit gleichwol so wenig beh euren Verbesserungen gewann? Was hilft es, recht zu glauben, wenn man unrecht lebt? Wie glücklich, wenn ihr uns eben so viel fromme als gelehrte Nachfolger gelassen hättet! Der Aberglaube fiel. Aber eben das, wodurch ihr ihn stürztet, die Vernunft, die so schwer in ihrer Sphäre zu erhalten ist, die Vernunft führte euch auf einen andern Irrweg, der zwar weniger von der Wahrheit, doch desto weiter von der Ausübung der Pflichten eines Christen entfernt war.

Und jezo, da unsre Zeiten soll ich sagen so glücklich? oder so unglücklich? - find, daß man eine so vortrefliche Zusammensetzung von Gottesgelahrheit und Weltweisheit gemacht hat, worinne man mit Mühe und Noth eine von der andern unterscheiden kann, worinne eine die andere schwächt, indem diese den Glauben durch Beweise erzwingen, und jene die Beweise durch den Glauben unterstüßen soll; jezo, sage ich, ist durch diese verkehrte Art, das Christenthum zu lehren, ein wahrer Christ weit feltner, als in den dunklen Zeiten geworden. Der Erkenntniß nach find wir Engel, und dem Leben nach Teufel.

Ich will es dem Leser überlassen, mehr Gleichheiten zwischen den Schicksalen der Religion und der Weltweisheit aufzusuchen. Er wird durchgängig finden, daß die Menschen in der einen wie in der andern nur immer haben vernünfteln, niemals handeln wollen.

Nun kömmt es darauf an, daß ich diese Betrachtung auf die Herrnhuter anwende. Es wird leicht seyn. Ich muß aber vorher einen kleinen Sprung zurück auf die Philosophie thun.

Man stelle sich vor, es stünde zu unsern Zeiten ein Mann auf, welcher auf die wichtigsten Verrichtungen unserer Gelehrten von der Höhe seiner Empfindungen verächtlich herabsehen könnte, welcher mit einer sokratischen Stärke die lächerlichen Seiten unserer so gepriesenen Weltweisen zu entdecken wüßte, und mit einem zuversichtlichen Tone auszurufen wagte:

Ach! eure Wissenschaft ist noch der Weisheit Kindheit,

Der Klugen Zeitvertreib, ein Trost der stolzen Blindheit!

Gesetzt, alle seine Ermahnungen und Lehren zielten auf das einzige, was uns ein glückliches Leben verschaffen kann, auf die Tugend. Er lehrte uns, des Reichthums entbehren, ja ihn fliehen. Er lehrte uns, unerbittlich gegen uns selbst, nachsehend gegen andre seyn. Er lehrte uns, das

Verdienst, auch wenn es mit Unglück und Schmach überhäuft ist, hochachten und gegen die mächtige. Dummheit vertheidigen. Er lehrte uns, die Stimme der Natur in unsern Herzen lebendig empfinden. Er lehrte uns, Gott nicht nur glauben, sondern was das vornehmste ist, lieben. Er lehrte uns endlich, dem Tode unerschrocken unter die Augen gehen, und durch einen willigen Abtritt von diesem Schauplaße beweisen, daß man überzeugt sey, die Weisheit würde uns die Maske nicht ablegen heissen, wenn wir unsere Rolle nicht geendigt hätten. Man bilde sich übrigens ein, dieser Mann befäße nichts von aller der Kenntniß, die desto weniger nüzt, je prahlender ste ist. Er wäre weder in den Geschichten, noch in den Sprachen erfahren. Er kenne die Schönheiten und Wunder der Natur nicht weiter, als in soferne sie die sichersten Beweise von ihrem großen Schöpfer find. Er habe alles das unerforscht gelassen, wovon er, bey Thoren zwar mit weniger Ehre, allein mit desto mehr Befriedigung seiner selbst, sagen kann: ich weiß es nicht, ich kann es nicht einsehen. Gleichwol mache dieser Mann Anspruch auf den Titel eines Weltweisen. Gleichwol wäre er so beherzt, ihn auch Leuten abzustreiten, welchen öffentliche Aemter das Recht dieses-blendenden Beynahmens gegeben haben. Wenn er es nun gar, indem er in allen Gesellschaften der falschen Weisheit die Larve abriß, dahin brächte, daß ihre Hörsäle, ich will nicht sagen leer, doch minder voll würden; ich bitte euch, meine Freunde, was würden unsere Philosophen mit diesem Manne anfangen? Würden sie sagen: Wir haben geirret? Ja, er hat Recht. Man muß keinen Philosophen kennen, wenn man glaubt, er sey fähig zu widerrufen.

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Hu! würde ein stolzer Algebraist murmeln, ihr mein Freund ein Philosoph? Laßt einmal sehen. Ihr versteht doch wohl einen hyperbolischen Afterkegel zu cubiren? Oder nein Könnet ihr eine Exponential-Größe differentiren? Es ist eine Kleinigkeit; hernach wollen. wir unsre Kräfte in was größern versuchen. Ihr schüttelt den Kopf? Nicht? Nun da haben wirs. Bald wollte ich wetten, ihr wißt nicht einmal, was eine Irrational-Größe ist? Und werft euch zu einem Philosoph auf? O Verwegenheit! o Zeit! o Barbarey!

Ha! Ha! fällt ihm der Astronom ins Wort, und also werde auch ich wohl eine schlechte Antwort von euch zu erwarten haben? Denn wenn ihr, wie ich höre, nicht einmal die ersten Gründe der Algebra inne habt, Lessing, sämmtl. Werke. XI.

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so müßte Gott es euch unmittelbar eingegeben haben, wenn ihr eine beffere Theorie des Monds hättet, als ich. Laßt sehen, was ihr davon wißt? Ihr schweigt? Ihr lacht gar?

Plat! Ein paar Metaphysiker kommen, gleichfalls mit meinem Helden eine Lanze zu brechen. Nun, schreyt der eine, ihr glaubt doch wohl Monaden? Ja. Ihr verwerft doch wohl die Monaden, ruft der andre? Ja. Was? ihr glaubt sie und glaubt sie auch nicht? Vortreflich!

Umsonst würde er es wie jener Bauerjunge machen, den sein Pfarr fragte: kannst du das siebende Gebot? Anstatt zu antworten, nahm er seinen Hut, stellte ihn auf die Spiße eines Fingers, ließ ihn sehr künstlich darauf herumtanzen, und sezte hinzu: Herr Pfarr könnet ihr das? Doch ich will ernsthafter reden. Umsonst, sage ich, würde er seinem Hohnsprecher andere wichtige Fragen vorlegen. Vergebens würde er sogar beweisen, daß seine Fragen mehr auf sich hätten, als die ihrigen. Könnt ihr, würde er etwa zu dem ersten sagen, euren hyperbolischen Stolz mäßigen? Und zu dem andern: seyd ihr weniger veränderlich, als der Mond? Und zu dem dritten: kann man seinen Verstand nicht in etwas bessern üben, als in unerforschlichen Dingen? Ihr seyd ein Schwärmer! würden sie einmüthig schreyen. Ein Narr, der dem Tollhause entlaufen ift! Allein man wird schon Sorge tragen, daß ihr wieder an Ort und Stelle kommt.

Gott sey Dank, daß so ein verwegener Freund der Lahen noch nicht aufgestanden ist, und zu unsern Zeiten auch nicht aufstehen möchte: denn die Herrn, welche mit der Wirklichkeit der Dinge so viel zu thun haben, werden schon sorgen, daß meine Einbildung nimmermehr zur Wirklichkeit gelangt.

Wie aber, wenn so ein Schicksal unfre Theologen betroffen hätte? Doch ich will mich ohne Umschweif erklären. Ich glaube, das, was so ein Mann, wie ich ihn geschildert habe, für die Weltweisen seyn würden, das sind anjeto die Herrnhuter für die Gottesgelehrten. Sieht man bald wo ich hinaus will?

Eine einzige Frage, die man, wenn man die geringste Billigkeit hat, nimmermehr bejaen kann, wird deutlich zeigen, daß meine Vergleichung nicht ohne Grund ist. Haben die Herrnhuter, oder hat ihr Anführer, der Graf von 3. jemals die Absicht gehabt, die Theorie unsers Christenthums zu verändern? Hat er jemals gesagt, in diesem oder jenem

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