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H. OESTERLEY, ZU GESTA ROMANORUM.

ZU GESTA ROMANORUM.

Cap. LXVIII der lateinischen Gesta Romanorum lautet nach dem Vulgärtexte: Gordianus regnavit, in cujus imperio erat quidam miles generosus qui pulchram uxorem habebat, que sub viro sepius erat adulterata. Accidit semel quod maritus ad peregrinandum perrexit. Illa vero in continenti vocavit amasium suum. Domina illa quandam ancillam habebat que cantus avium intellexit. Cum vero amasius veniret, erant tunc temporis tres galli in curia. Media nocte cum amasius juxta dominam jacuisset, primus gallus cantare cepit. Domina, cum hoc audisset, ait ancille: Dic mihi, charissima, quid dicit gallus in cantu? Illa respondit: Gallus dicit in cantu suo, quod tu facis injuriam domino tuo. Ait domina: Occidatur gallus iste, et sic factum est. Tempore debito post hec secundus gallus cantavit. Ait domina ancille: Quid dicit gallus in cantu suo? Ait ancilla: Socius meus mortuus est pro veritate et ego paratus sum mori pro ejus veritate. Ait domina: Occidatur gallus, et sic factum est. Post hec tercius gallus cantavit. Domina, cum audisset, dixit ancille: Quid dicit gallus in cantu suo? Illa respondit: Audi, vide, tace, si tu vis vivere in pace. Ait domina: Non occidatur gallus iste.

Diesem Texte, ich habe nur den Gesang der drei Hähne im Auge, schließen sich die meisten der mir bekannt gewordenen Handschriften der Gesta an, während einige den einen oder anderen Gesang mit Worten einleiten, wie angelice (Cod. Guelferbyt. Helmstad. 693, Quart, Nr. 42), cantu angelico (Cod. Guelferbyt. 495, 4 Th. Fol. Nr. 41), oder angelicis verbis (Cod. Guelf. August. 14, 5, Quart, Nr. 12). Das sonst unverständliche angelice etc. stammt nun daher, daß der Hahnengesang ursprünglich in englischer Sprache geschrieben war, die englischen Sätze aber als unverstanden oder unverständlich ausgemerzt wurden und das anglice u. s. w. der Einleitungsworte in angelice u. s. w. sich verwandelte. Ich habe bis jetzt in deutschen Bibliotheken fünf aus deutschen Klöstern herstammende und unzweifelhaft von deutschen Ordensleuten geschriebene Handschriften gefunden, welche den ursprünglich englischen, aber freilich vielfach verdorbenen Text enthalten, eingeleitet durch das richtige anglice o. ä. In dem Cod. Marburg. D. 20 Fol. (XV. Jahrh.) lautet er (Cap. 22):

1. Ye ket seyt in yr sang yat you doyst yr ysban vnraut.
2. My fallau farys sozesau hait ylors lyf an lyt fullau.

3. Yr an sie ando leye stille kyff you woylt as ye pescau al ym wil.

Fast genau so in dem unzweifelhaft dem XV. Jahrh. angehörenden Colmarer Cod. Issenh. 10 Fol. Nr. 52.

Im Cod. Monac. lat. 4691, Nr. 182 (XV. Jahrh.), mit dem Cod. 7759 und 7841 ziemlich übereinstimmen, ist vor dem ersten Verse angelicis geschrieben, das e aber ausradiert; die Sprüche lauten hier:

1. Ye koc seyt inir sang yac you doyst yr vsban wrang.

2. My fallaw for ys sore sau hayt yloris lif anlyt ful lau.

3. Yr anse andolye stille chyffiou woilt as hi pese au ale ys wil. Dieselben Verse kommen auch in den von englischen Händen geschriebenen Redactionen vor, namentlich in dem sog. anglo-lateinischen Texte, Cod. Harl. 2270, Cap. 53.

In einer altenglischen Bearbeitung der Gesta Romanorum (Cod. Harl. 7333, Nr. 45) heißen die Verse:

1. The cock seithe in his songe, that thow dost thin husbonde wrange.

2. My felowe for his sothe sawe hathe loste hys lyf, ande lithe ful lawe.

3. Here ande see and sey nowte, thenne thou maiste have alle thi wille.

Fast gleichlautend ist Cod. Harl. 5259.

Es ist damit erwiesen, daß die deutschen Schreiber häufig aus englischen Händen stammende Vorlagen gehabt haben.

GÖTTINGEN.

H. OESTERLEY.

BEIDE.

Zu den von J. Grimm (Gr. 4, 954; theilweise wiederholt Wb. 1, 1364) und im mhd. Wb. 1, 98, sodann von Zingerle in dieser Zeitschrift 6, 224 f. beigebrachten Beispielen dafür, daß in der älteren Sprache der Begriff beide nicht selten auf drei erstreckt wird, kann ich noch einige weitere Belege aus dem Gebiet des Niederrheinischen anführen. Es heißt bei Gotfried Hagen (ed. Groote) v. 2924: beyde lijff ind guyt ind ere. ibd. v. 4710: beide an live an goede an erven. ibid. v. 5158 f.: beide interven ind intliven ind lesterlich us Coelne dryven. Reinke de Vos (ed. Lübben) v. 2591: beide sin gut sîn lîf unde lede.

Auch auf vier erstreckt findet sich beide bei Gotfr. Hagen v. 2436: beide rich arm grois ind cleine. Doch trifft hier wohl trotz des vereinfachten Beispiels und obwohl zwischen rich und arm das ind fehlt, was Grimm Gr. 4, 955 bemerkt, daß beide lieber auf die zwei Paare, rich arm und grois ind clein zu beziehen ist.

ERLANGEN.

CARL SCHRÖDER.

VLÄMISCHE MÄRCHEN UND VOLKSLIEDER.

Ein unlängst erschienenes Büchlein (Oude Kindervertelsels in den Brugschen Tongval verzameld en uitgegeven door Adolf Lootens, met spraakkundige aanmerkingen over het brugsche taaleigen door M. E. F. Brussel 1868) enthält im Ganzen neun Märchen, die ich hier auszugsweise mittheilen will, da sie mancherlei Eigenthümliches darbieten wenn auch meist in dürftiger Fassung; doch sind sie ganz vortrefflich erzählt und treffen den echten Volkston. Dies so wie die Bezeichnung „alte Kindermärchen" erklärt sich durch folgende Stelle des Vorworts: Wir haben diese Märchen so drucken lassen, wie eine genaue Über. lieferung sie in verschiedenen Familien bewahrt hat, ohne auch nur ein Wort abzuändern, ohne auch nur einen Buchstaben hinzuzufügen oder wegzulassen. Sie wurden uns durch hochbejahrte Personen von ausgezeichnet gutem Gedächtniss erzählt und wir können demgemäß versichern, daß sie seit ungefähr hundertundfünfzig Jahren nicht die mindeste Veränderung erlitten haben."

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I. Tischchen deck dich (Platteboontje d. i. die Saubohne).

Ein armes Ehepaar mit vielen Kindern leidet große Noth; da steckt der Mann eines Tages eine noch übrige Saubohne in die Erde und findet sie den folgenden Morgen bis an die von St. Peter bewachte Himmelspforte emporgewachsen. Er klettert an dem Stengel hinauf und erhält auf seine Bitte um Almosen von dem heiligen Pförtner ein Schäfchen, das bei den Worten „Schäfchen schüttle dich" allerlei Arten Geld von sich schüttelt 1). Dieses Schäfchen jedoch wird ihm auf dem Rückwege, da er die Nacht in einer Herberge zubringt, von den Wirthsleuten, denen er die wunderbare Eigenschaft des Thierchens mitgetheilt, gegen ein anderes vertauscht, so daß er zu Hause anlangend die gehegte Erwartung getäuscht sieht. Er klimmt wieder zu St. Peter empor und erhält von ihm ein Tischchen deck dich (Tafeltje, dek wal), um das er ebenso kommt wie um das Schäfchen und erlangt beide erst wieder durch das dritte Geschenk des Heiligen, einen Sack mit Knüppeln,

1) Schudden. Zeer waarschijnlijk staat hier en overal in dit vertelsel schudden voor schijten; men begrijpt genoegzam de reden waarom de verhaler dit laatste woord veranderd heeft. Anm. des Herausg.

worauf er ein reicher Mann wird und sich eine Hofstelle kauft. Alle aber, die später auf dieser Hofstelle wohnten, wurden gleichfalls reich. - Das nun folgende Märchen wird gewöhnlich unmittelbar nach dem vorhergehenden erzählt. Da es nur kurz ist, so theile ich es in der Sprache des Originals, um zugleich eine Probe desselben zu geben, vollständig mit und füge eine wörtliche Übersetzung hinzu, um es ge

nauer verständlich zu machen.

II. Fleeres.

„Der was e gheel groot peerd up die hofsteê 2) en 't heette Fleeres. En 't deê òltijd zen harnasseure gheel òlleen an, en 't gink gòn ploegen gheel òlleene, en 't kreeg òlle dage en gheelen eemer malk. En ze wieren òllemòlle rijkke die up die hofsteê gingen weunen. Zo der kwaem dòr e keer en gheelen gieregen boer up die hofsteê weunen, en je zei: „Ja, da kost òl veel te veel gald dat da peerd òlle dage en gheelen eemer mè malk moet hên; 'k zòl ik òl gauw gòn maken dat 't geen malk meer en mag." Zo je deê look in da peerd zen malk, omdat 't nie meer en zoe gemeugen hên. Mò lik of da peerd begost an die malk te lekken, 't en mogt het nie, en 't zei: „Wat hè je me dòr gegeven?" Fleeres gòot deure, en 't geluk ook."

dòr geweund hên.“

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Zoete malk mè look!"

En ze zijn sedert dien òl òorme geworden die

Übersetzung.

Da war ein ganz großes Pferd auf jener Hofstelle, das hieß Fleeres. Und es that immer sein Geschirr ganz allein an und es gieng ganz allein pflügen) und es bekam alle Tage einen ganzen Eimer Milch. Und sie wurden allesammt reich, die auf der Hofstelle wohnten. So kam da einmal ein ganz geiziger Bauer auf die Hofstelle zu wohnen und er sagte: „Ja, das kostet all viel zu viel Geld, daß das Pferd alle Tage einen ganzen Eimer mit Milch haben muß; ich werde bald machen, daß es keine Milch mehr mag." So that er Lauch in des Pferdes seine Milch, damit es keine mehr sollte haben wollen 4). Aber sobald das Pferd an die

*) eê und oô bezeichnet eine Verschmelzung beider Vocale, ò, è dumpfes o und e, sprich aus nk. Diese Angaben entnehme ich dem Anhang Spraakkundige Aanmerkingen u. s. w., einer sehr lehrreichen Übersicht der Eigenthümlichkeiten des Brüggischen Dialekts, welcher der Sprache Maerlants noch sehr nahe steht, und daher für den Sprachforscher nicht ohne Interesse ist.

3) Eig. gieng pflügen gehen". Das Zeitwort gehen wird oft ganz überflüssig eingeschoben.

*) Eig. „gemocht haben".

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Milch zu lecken begann, so mochte es sie nicht und sagte: „Was habt ihr mir da gegeben?" Süße Milch mit Lauch." Fleeres geht fort 5) und das Glück auch." Und sie sind seit der Zeit alle arm geworden, die da gewohnt haben.

III. Der Herr Mond (Menheere de Mone).

Ein verabschiedeter Soldat wird einmal eine Winternacht über von einer alten Frau, die in einer Höhle wohnt, freundlich beherbergt und bewirthet. Während er nun in einem Buche, das sie ihm gegeben, liest, erscheint ein Männchen, das ihm auf sein Begehren alsbald einen Beutel mit Geld bringt. Am nächsten Morgen, als er von der alten Frau Abschied nimmt, um, wie er auf Befragen sagt, wohl noch hunderttausend Meilen weit zu reisen, meint sie, er werde auf seinem langen Wege wohl ihre Brüder, den Morgenstern, den Mond und die Sonne antreffen; er solle sie also von ihrer Schwester, die in der Höhle wohne, bestens grüßen; es gienge ihr immer noch gut. Der Soldat verspricht dies auszurichten und mit noch einem Beutel Geld von ihr beschenkt, setzt er seinen Weg fort. Des Abends langt er in einer schönen Stadt an, wo er nach längerem Umherwandeln endlich an eine himmelblaue Pforte kommt, auf die ein silberner Stern gemalt war; darüber aber stand zu lesen: „Hier wohnt der Herr Morgenstern." Der Soldat klingelt, eine Magd öffnet ihm und eintretend richtet er dem Hauswirth die Aufträge der Schwester desselben aus. Dieser wundert sich einigermaßen, wieder einmal nach hunderttausend Jahren von der Höhlenbewohnerin etwas zu hören und beherbergt dann den Soldaten die Nacht über. Die Bewirthung freilich ist sehr miniaturmäßig. „Die Magd brachte einen Tisch so groß wie ein Puppentischchen, die Teller waren wie die Untertässchen, die Brote wie die Makronen, die Gläser wie die Fingerhüte und man konnte wohl drei Stücke Fleisch zugleich in den Mund stecken. Der Soldat und die Magd hatten gar großen Hunger und steckten immer ganze Brote in den Mund." Am andern Morgen geht es wieder wie den vorigen Tag: dieselbe Frage nach der Länge seiner Reise und dieselben Aufträge an Mond und Sonne von Seiten ihres Bruders, des Morgensternes, nebst einem Beutel voll Geld. Des Abends in einer großen und schönen Stadt angelangt, findet er dort gleichfalls eine himmelblaue Pforte, aber mit einem goldenen Monde und darüber die Worte: „Hier wohnt der Herr Mond." Bei diesem geht es dem Soldaten genau ebenso wie bei dem Morgenstern, nur hat

5) Eig. „(zur) Thür (hinaus)“ forus.

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