Page images
PDF
EPUB

Einleitung.

In vetere novum latet, in novo vetus patet.
S. Augustinus.

1. Vorstehender Augustinischer Satz enthält, besonders auf religiösem Gebiete, einen bedeutenden Fonds Wahrheit. Diese unsere Arbeit wird das zeigen. Sie versucht darzuthun, dass die religiösen Grundideen schon von der ältesten Zeit an mehr oder weniger ein Gemeingut der Völker waren, die dann im Christenthum ihre Läuterung, harmonische Entfaltung und Verklärung fanden.

Das ist die eine Seite ihrer Aufgabe; man könnte sie mit Rücksicht auf den Inhalt die dogmatische nennen. Dann aber will sie ganz besonders jene Züge und Punkte hervorheben und zu einem einheitlichen Bilde vereinigen, in denen die ältesten Culturvölker der Erde, soweit sie die heutige Forschung als solche anerkennt, hinsichtlich der Urgeschichte der Welt und Menschheit mit dem, was wir die Offenbarung nennen, übereinstimmen. Das bildete dann die historische Seite dieser Schrift.

Wir stellen uns also die Aufgabe, zu untersuchen, in welchen dogmatischen (oder theoretisch-religiösen) und in welchen urgeschichtlichen Punkten die ältesten heidnischen Culturvölker mit der Offenbarung mehr oder weniger übereinstimmen, oder für dieselbe zeugen.

Fischer, Heidenthum und Offenbarung.

1

Gelingt die Lösung dieser Aufgabe, dann erscheinen erstens die religiösen Ueberlieferungen des Judenthums, wie sie in den Schriften des Alten Testaments vorliegen, hinsichtlich der Schöpfung, des Paradieses, des Sündenfalls, der Fluth u. s. w., welche das Christenthum als Offenbarungswahrheiten adoptirt hat, nicht mehr vereinzelt, sondern durch die anderen Völker bestätigt, und dieses gemeinsame Zeugniss erhöht beträchtlich ihren geschichtlichen Werth;

dann zeigt sich zweitens nicht allein das Judenthum, wie man vielfach annimmt, sondern auch das Heidenthum als eine Vorstufe zum Christenthum, und letzteres selbst empfängt

,drittens dadurch eine universelle, menschheitliche Unterlage. Dann kann man das Christenthum nicht mehr blos als eine höhere Entwickelungsform aus dem Judenthum bezeichnen, vielmehr stellt es sich als die Krone der gesammten religiösen Entwickelung der Vorzeit dar. In diesem Sinne könnte man dann mit Lacordaire sagen: >>Das Christenthum ist so alt wie die Welt,<< indem die Ideen, die es vertritt, im Wesentlichen keimartig in den vorchristlichen Religionen vorhanden waren.

Doch man möge mich nicht missverstehen. Ich sage nicht, dass das Christenthum in einem naturnothwendigen Processe aus dem Judenthum und Heidenthum sich entwickelt habe, noch dass ihm jeder specifisch neue Coefficient abgehe, wohl aber dass es in der antiken Welt embryonal wurzelte, dass die Vorzeit auf das Christenthum angelegt war. Von Gleichwerthigkeit zwischen Heidenthum und Christenthum ist also offenbar keine Rede. Aber auch ebenso wenig soll die höhere religiöse Würde des antiken Judenthums herabgedrückt werden. Letzteres

ist und bleibt nicht blos der bevorzugte Träger einer reineren Religionsanschauung in der Vorzeit überhaupt, sondern auch speciell der göttlichen Offenbarung. Aber wir werden sehen, dass es nicht der einzige Träger derselben ist. Auch das Heidenthum participirt, wenn auch in entfernterer Weise, an der ursprünglichen Offenbarung.

Das ist auch schon im Voraus sehr begreiflich. Denn hat sich wirklich Gott am Anfange der Dinge den Menschen geoffenbart; ist er wirklich als der erste Erzieher derselben zu betrachten, und beruhen jene urgeschichtlichen Traditionen, wie sie die Genesis berichtet, auf Wahrheit: dann steht zu erwarten, dass nicht blos das erst später vom Menschheitsbaume abgezweigte Volk der Hebräer, sondern auch die übrigen Völker irgend ein Bewusstsein von jener Uroffenbarung und den damit in Beziehung stehenden primitiven historischen Thatsachen in ihren Ueberlieferungen bewahrt haben werden; denn ihre Ahnen waren ja gemeinschaftlich daran betheiligt. Freilich mag die Erinnerung an jene graue Vorzeit bei dem einen Volk ungetrübter als bei dem anderen sich erhalten haben, aber gewisse Nachklänge müssen sich finden. Und diese mehr oder weniger deutlichen Anklänge und verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen der Offenbarung, wie sie uns die Bibel bietet, einerseits, und den religiösen sowie urgeschichtlichen Ueberlieferungen der altheidnischen Culturvölker anderseits, will unser Versuch im Nachfolgenden darstellen.

Nach dem Gesagten liegt es desshalb nicht in der Aufgabe dieser Untersuchungen, die verschiedenen Religionen der alten Culturvölker in möglichster Vollständigkeit darzustellen, sondern wir haben sie vielmehr nur unter dem vergleichenden Gesichtspunkt zu betrachten, inwiefern sie nämlich in dogmatischer und urgeschicht

licher Beziehung mit der Bibel übereinstimmen. Und diesem entsprechend muss auch die Gliederung dieser Schrift sich vollziehen.

Was nun aber die Mittel anlangt, um dem genannten Ziele zuzustreben, so werden wir möglichst auf die ältesten Quellen zurückgehen, soweit sie erhalten und bis jetzt. für uns durch die oriental. Forschungen erschlossen sind; und das sind theils ihre ehrwürdigen heiligen Schriften, theils ihre auf uns gekommenen Denkmäler des Cultus und der Kunst. Erstere, wo sie vorhanden, werden uns natürlich das reichhaltigste Material zu unserem Zwecke liefern.

2. Es erhebt sich noch die Frage: Welche Stämme sind als die ältesten Culturvölker der Menschheit zu betrachten?

Die Ethnographie hat, besonders auf Grund der neueren Forschungen auf dem Gebiete der vergleichenden Sprachwissenschaft, mit grösster Gewissheit den Nachweis erbracht, dass eine Reihe Culturvölker der alten und neuen Welt von einem einzigen Urvolke abstammen, dessen Anfangspunkt seiner Entwickelung Indien und dessen Endpunkt Germanien bildet.

Man bezeichnet daher bekanntlich dieses Urvolk als das indo-germanische. Aus ihm haben sich als Zweige allmählig die Inder, Perser, Griechen, Römer, Germanen, Slaven und Celten (?) abgegliedert. Dass diese verschiedenen Völker in einem inneren Zusammenhang mit einander stehen, beweisen ihre verwandtschaftlichen Beziehungen in sprachlicher und religiöser Hinsicht. Sie bilden zusammen die grosse indo - germanische Völkerfamilie, als deren älteste Glieder man gemeinhin die Inder und Perser betrachtet.

Daneben hatte sich aber eine zweite ausgedehnte Völkerfamilie im Laufe der Jahrhunderte entwickelt, die unter dem Namen Semiten zusammengefasst werden. Dahin gehören die Babylonier, Assyrer, Phönicier, Hebräer, Araber u. s. W. Auch diese Völkergruppe verräth einen engeren Zusammenhang durch ihre sprachlichen und religiösen Berührungen. So weit unsere Kenntnisse reichen, bilden dle Babylonier und Assyrer in der semitischen Kette die ältesten Glieder.

Endlich unterscheidet man noch einen dritten Völkerstamm, nämlich die Chamiten (Hamiten), als deren vorzüglichste Repräsentanten die Aegypter gelten.

Mit Rücksicht auf die mosaische Völkertafel betrachtet man als den Stammvater der Indogermanen gewöhnlich den Japhet, während die Semiten und Chamiten auf die zwei anderen Söhne Noah's, auf Sem und Cham, bekanntlich zurückgeführt werden.

Demnach wären also als die ältesten und bedeutendsten Glieder der drei grossen Völkerfamilien der Menschheit: 1. die Inder und Perser, 2. die Babylonier und Assyrer und 3. die Aegypter anzusehen. Diese haben wir desshalb als die Hauptrepräsentanten der religiösen Anschauungen und Ueberlieferungen der Vorzeit in den Kreis unserer Erörterung zu ziehen.

3. Wo der primitive Wohnsitz des indo-germanischen Urvolks gewesen, ist wissenschaftlich noch nicht ganz sichergestellt. Doch haben es die bisherigen einschlägigen Forschungen wahrscheinlich gemacht, dass als das Urland der Indogermanen das Gebiet zwischen dem Kaspischen Meer und dem iranischen Hochland zu betrachten sei1). Las

1) A. W. Schlegel, De l'origine des Hindous, p. 515. sen, Indische Alterthumskunde, I, S. 527.

« PreviousContinue »