Page images
PDF
EPUB

Regeln geben, nur in wenigen und gewöhnlich höchst unwesentlichen Punkten von einander abweichend, zeigen die Texte der Dramen bei Übereinstimmung im Allgemeinsten dennoch vielfach höchst verschiedenartige Abweichungen. Allein diese Texte sind grösstentheils noch auf höchst unkritische Weise behandelt; die in Asien erschienenen gewöhnlich nur nach Einer Handschrift herausgegeben, so dass man häufig bei Vergleichung nur Eines andern Manuscripts schon Übereinstimmung mit den Lehren der Grammatiker hervorleuchten sieht. Man muss daher in noch sehr vielen Punkten zukünftiger grösserer Genauigkeit in Beziehung auf Kritik die Entscheidung überlassen, ob die vorkommenden Abweichungen begründet 74 und die Texte zu schützen sind, oder ob die | Lehren der Grammatiker die einzige Norm für die Constituirung der Texte bilden werden. Aber selbst in diesem Fall bleiben eine Menge Schwierigkeiten zurück. Die Kürze der Grammatiker in ihren Regeln, die nahe Verwandtschaft der meisten der in den Dramen gebrauchten Dialekte, die grosse Unkenntniss der Abschreiber in Bezug auf diese Dialekte, durch welche bald eine mehr sanskritisirende Verderbniss der Stellen in den Dramen denn Sanskrit ist das allgemein verbreitete Bildungselement in Indien bald eine sie Localdialekten (denen der Abschreiber) annähernde Corruption herbeigeführt ward, macht es nicht selten bis jetzt ganz unmöglich zu entscheiden, welchem der Dialekte die eine oder die andre Stelle angehöre, so dass man gar nicht bestimmen kann, nach welchen Grundprincipien die Reconstituirung des Textes eingeleitet werden soll. Man sieht daher, wie überaus viel noch im Einzelnen zu thun bleibt, darf aber dabei keinen Augenblick verkennen, dass durch die sorgsame Behandlung insbesondre der Grammatiker von Hn Lassen eine Grundlage gelegt sei, die so fest und sicher ist, dass man sich der Hoffnung und Überzeugung hingeben kann, dass sie zum Auf- und Ausbau des ganzen Gebäudes vollständig genügen werde.

Die Dialekte, welche hier behandelt sind, sind allsammt Sprösslinge des Sanskrit, keine Seitenverwandten, nicht coordinirt, sondern Töchter desselben, subordinirt, aus ihm hervorgegangen. Die Erscheinungen derselben verhalten sich zum Sanskrit, wie die Erscheinungen in den neuern romanischen Sprachen zum Latein. Wie solchartige Dialekte in der Sprach

entwickelung entstehn, haben die Untersuchungen über die uns näher liegenden Gestaltungen der Art gezeigt. Durch sie können wir uns auch, was in Indien vorging, erklären, so wie dieses denn auch umgekehrt Bestätigung für jene Untersuchung darbietet.

Wo sich ein, dieselbe Sprache sprechender, Volksstamm festsetzt und local spaltet, spaltet sich auch seine Sprache in topisch verschiedne Erscheinungen. Geschieht nichts, was den topisch geschied-nen Volksstamm zum Bewusstsein seiner 75 Einheit zurückführt, so können die topisch verschiednen Sprachgestaltungen sich immer weiter von einander entfernen, so dass eine Vereinigung, ein Verständniss derselben unter einander immer schwieriger wird.

Allein, wenn sich einer dieser, topisch, politisch, sprachlich oder auf andre Weise abgetrennten Stämme über mehrere oder alle ihm verwandte Stämme entweder politisch oder geistig erhebt, so werden sie durch diese Übermacht auch in sprachlicher Hinsicht bewältigt. Die Sprache des sie in politischer oder geistiger Unterwerfung haltenden Stamms absorbirt nach und nach die verschiednen verwandten Dialekte sehr häufig sogar unverwandte und wird nach und nach die allgemeine Sprache wenigstens der auf Bildung Anspruch machenden, in welcher topische Divergenzen welche sich den Bedingungen gemäss, welche äusseren Einflüssen auf die Sprachorgane gestattet sind, immer wieder von neuem einstellen für Fehler und Provincialismen gelten.

Eine solche Stellung nahm einst in Vorderindien das Sanskrit ein. Diese Behauptung im Allgemeinen zu bestreiten wird nicht leicht jemand einfallen, der diese Sprache und die daraus hervorgegangenen Dialekte einigermassen kennt; die Widerlegung eines so bizarren Opponenten würde zwar in die minutiösesten Details der Sprachforschung eingehn und einen bedeutenden Raum einnehmen müssen, könnte aber eines siegreichen und bei denen, welche den Beweis und seine Mittel zu beurtheilen fähig sind, entschieden anerkannten Erfolgs gewiss sein.

Bei weitem schwieriger aber ist es, die Fragen zu beantworten, in welcher Zeit das Sanskrit diese Herrschaft gehabt habe und wie weit sie über Indien ausgedehnt gewesen sei. Ich zweifle sehr, dass sie je eine vollständig genügende Beant

wortung finden werden, doch wird es stets von der höchsten Bedeutung sein, die Momente hervorzuheben, welche darauf Einfluss haben können.

[ocr errors]

Zu einer genaueren Erörterung dieser Art kann nun hier der Ort nicht sein. Doch dürfen wir uns erlauben da dieses mit der Erkenntniss des im vorliegenden Werk behandelten Gegenstandes aufs innigste zusammenhängt für jede dieser

Fragen auf Einen Punkt aufmerksam zu machen.

Was zunächst die Zeit der Herrschaft des Sanskrit betrifft, so haben wir jetzt bekanntlich indische Inschriften, 76 welche zum Theil bis ins vierte, vielleicht | selbst fünfte Jahrhundert vor Christus hinaufreichen. Unter diesen sind die wichtigsten die des Königs oder vielmehr Kaisers von ganz Indien (vom indischen Kaukasus an bis zum Brahmaputra und von Kaschmir bis zum Cap Comorin), welcher von 263 bis 227 v. Chr. regierte 1. Diese zum Theil schon 253 v. Chr. abgefasst, sind sämmtlich nicht mehr in Sanskrit geschrieben, sondern in zwei Volksdialekten, davon einer der im Hauptsitz des Reichs Magadha gesprochene ist, der andere (höchst wahrscheinlich) der von Gurjararâshtra (jetzt Guzarate). Wenn wir nun in den Staatsschriften des Oberhauptes von ganz Vorderindien und den zunächst angrenzenden Ländern nicht mehr das Sanskrit, sondern zwei, sich deutlich als aus dem Sanskrit töchterlich hervorgegangen erweisende, Dialekte im Gebrauch finden, so ist die daraus hervortretende Folgerung, dass das Sanskrit damals nicht mehr die Haupt- und allgemeine Sprache Indiens war, die allergeringste. Es müssen manche Jahrhunderte vielmehr verflossen sein, bis eine Sprache, welche einst eine so allgemeine Herrschaft in Indien übte, dass die der verschiedensten Gegenden von Indien töchterlich aus ihr sich entwickelten, diese Herrschaft verlor und eben so müssen Jahrhunderte verflossen sein, bis die von ihr sich ablösenden und sich dem topischen Einfluss wieder hingebenden Stämme zu selbständig brauchbaren Dialekten kamen, welche dem Sanskrit schon so ferne stehn, wie die Magadha- und Gurjara-Sprache der Asoka-Inschriften. Nehmen wir für beide Momente durchschnittlich nur die geringen Zeitabschnitte von

1 Über diese Bestimmungen s. den Artikel: Indien in Ersch und Gruber, Encyclopädie der Wissenschaften und Künste, Sekt. II, Bd. 17, S. 64 ff.

je drei Jahrhunderten, so erhalten wir für die Zeit der Herrschaft des Sanskrit schon etwa das zehnte oder neunte Jahrhundert vor Christus. Diese hypothetische Annahme erhält aber noch eine mehr historische Stütze. Tibetanische Quellen berichten uns, dass in den buddhistischen, sowohl mündlichen, als schriftlichen Entwickelungen dieser Lehre die Dialekte Indiens gebraucht wurden, woraus wir folgern können, dass schon beim Erwachen des Buddhismus die Herrschaft des Sanskrit nur noch nominell war, ja sogar ist es wahrscheinlich, dass diese Abwendung des Buddhismus vom Sanskrit seinem hinlungernden Greis enalter den Todesstoss gab. Nun ist zwar keineswegs bis jetzt das Zeitalter des Buddha chronologisch zu sichern, allein die meisten Umstände sprechen doch dafür, dass die ceylonesische Zeitrechnung, welche Buddhas Tod 543 v. Chr. setzt, wenn | auch nicht ganz die Wahrheit 77 ist, sich ihr doch am meisten nähert. Man irrt schwerlich, wenn man die Anfänge des Buddhismus etwa um 500 v. Chr. setzt. Schreibt man nun ihnen die Ausbildung der aus dem Sanskrit herausgesonderten indischen Dialekte zu, so trifft die durch diese Annahme sich ergebende Zeit ungefähr mit der hypothetisch für die Stabilirung der Dialekte angenommenen

zusammen.

Für die Zeit dagegen, mit welcher etwa das Aussterben des Sanskrit als allgemeine Sprache begönne, kenne ich noch kein einigermassen entscheidendes Moment und beruhige mich bei der hypothetischen Annahme.

Was nun die zweite Frage nach der Ausdehnung der Herrschaft des Sanskrit betrifft, so ist hier der Umstand von der höchsten Bedeutung, dass derjenige Dialekt, welcher für die Prakrita principalis gilt, und in welcher die PrakritGedichte in den Dramen insbesondere abgefasst sind, der von Mahârâshtra genannt wird. Dass die geographischen Namen der Dialekte nichts weniger als bedeutungslos sind, hat schon Hr Lassen bemerkt. Er hat an einigen Stellen schon nachgewiesen, dass Eigenthümlichkeiten dieser Prakrita principalis oder Dialectus mahârâshtrica sich in der That noch in der heutigen Mahrattensprache wieder finden. Aber der Hauptbeweis dafür, dass diese geographischen Bezeichnungen der Dialekte von sehr wesentlicher Bedeutung sind, stand Hrn Lassen damals noch nicht zu Gebot. Er liegt in dem Umstand,

dass der von den Grammatikern Mâgadhi genannte Dialekt in sehr wesentlichen Punkten mit der Magadha-Sprache übereinstimmt, wie wir sie jetzt durch die Asoka-Inschriften kennen gelernt haben; so, um nur einiges zu erwähnen, haben in diesen, wie die Grammatiker es lehren, die Nominative der Themen auf a nicht as oder ô, sondern wirklich ê, für r tritt immer ein, der Nominativ des Pronomen der ersten Person setzt ka an (in den Inschriften hakam nach den Grammatikern hakê) und so giebt es eine Menge anderes entweder ganz übereinstimmende oder sehr nahe verwandte.

Das Land Mahârâshtra ist im siebenten Jahrhundert (nach den chinesischen Berichten des Hiuan-Thsang) im Südost 78 durch Konkan (Koung kia na pou lo; im | Sanskrit Konkanapura) begrenzt [welches nördlich von Drâviḍa (Tha lo pi tchha) liegt] und reicht bis zum Nerbudda (im Sanskrit Narmadâ, bei Hiuan-Thsang Nai mo tho). Westlich davon liegt das Reich Barygaza (im Sanskrit Bhṛgukaccha und bei Hiuan-Thsang Palou ko tchen pho), der jetzige Distrikt von Beroach. Nördlich liegt Malva (bei Hiuan-Thsang Ma la pho). Östlich davon liegen die binnenländischen Theile des grossen Reichs Andhra (bei Hiuan-Thsang An tho lo)1. Ihr Reich ging danach etwa vom 17o n. B. bis zum Nerbudda (20° 30' ungefähr und vom 720 bis 760 ö. L.). Denselben Umfang mögen sich wohl auch die indischen Grammatiker denken, wenn sie von Mahârâshtra reden. Denn sie sind schwerlich älter als diese Zeit, eher jünger.

In diesen Gegenden also vielleicht für die ältere Zeit minder südlich muss das Sanskrit, als es die allgemeine Sprache Indiens war, die Herrschaft gehabt haben. Sein Einfluss kann nicht zu einer Zeit dahin getragen sein, wo es schon im Aussterben begriffen war, wo sich aus ihm schon wieder Dialekte befreiten, sondern es kann eine solche Stellung (dass sich aus ihm die eigentliche Volksprache dieser Gegend in einem derartigen Verhältniss entwickelte, wie die Prakrita

1 Vgl. den Auszug aus Hiuan-Thsang's Reisebericht in Foě Kouě Ki ou Relation des royaumes bouddhiques. Voyage dans la Tartarie, dans l'Afghanistan et dans l'Inde exécuté à la fin du IVième siècle par Chy Fa Hian; traduit du Chinois et commenté par M. Abel Rémusat. Ouvrage posthume, revu complété et augmenté d'éclaircissements nouveaux par MM. Klaproth et Landresse, p. 590 ff., wo jedoch die meisten Namen verkannt sind.

« PreviousContinue »