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lichen Sinne kein gutes Haar gelassen wird, sie künstlich gemacht, um sich und ihre Herrschaft an die Stelle des Königs von Spanien zu setzen. Es kann keineswegs unsere Absicht sein, Oranien und die hohe Aristokratie der Niederlande von allen politischen Gedanken und Plänen in Beziehung sowohl auf Gesinnungen als auf Thaten freizusprechen. Es ist unverkennbar, dass sich vieler Orten ein aristokratisches Element in die Sache der Refor mation eingemischt hat. Allein wenn man unparteiisch und geschichtlich verfahren will, ist dies ganz anders zu beurtheilen, als es von dem Vf. geschehen ist. Die Lehre von der Alleingültigkeit der fürstlichen Macht und des fürstlichen Willens kannte damals Niemand und am wenigsten kannte sie die hohe Aristokratie, die sich noch deutlich erinnerte, wie die fürstlichen Geschlechter vor nicht gar zu langer Zeit kaum mächtiger als sie gewesen, ihr erst in den beiden letzten Jahrhunderten allmälig über den Kopf gewachsen waren. Die hohe Aristokratie betrachtete es als ein angeborenes und unveräusserliches Recht, in allen Landessachen eine entscheidende Stimme zu haben, ihre eigenen und des Landes Privilegien mit aller Kraft und, wo nöthig, selbst mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten. Mit Ausnahme Englands ist die hohe Aristokratie fast auf allen Puncten der europäischen Welt unglücklich gewesen in dem Kampfe für die Aufrechterhaltung dessen, was sie ganz wohl als ihr altes, angeborenes unveräusserliches Recht betrachten konnte. Dass sie dabei unglücklich gewesen, aber doch nicht zum Vorwurf gemacht werden, wie es vom Vf. überall geschieht. So schmäht er heftig auf die Schriftsteller, welche über den Verlauf der Dinge freilich ganz andere Ansichten als die seinigen aufgestellt haben, und wirft ihnen vor, die damalige und die gegenwärtige Zeit mit einander zu verwechseln. Er thut es aber, und wohl nicht ohne Absicht, nur da, wo es ihm in seine Sache passt, und unterlässt auf Art und Sitte der damaligen Zeit da hinzuweisen, wo er es auch thun musste, wo es aber zu seinen Zwecken nicht stimmen will. Handelt es sich in dem Buche um die hohe niederländische Aristokratie, so verschweigt er klüglich die damaligen Zeitverhältnisse. Handelt es sich aber da rum, Philipp II. zu vertheidigen oder ihn doch in einem mildern Lichte erscheinen zu lassen, so weiss er kaum Worte genug zu finden, um die damaligen entschuldigenden, vielleicht selbst rechtfertigenden Zeitverhältnisse heranzuziehen. So verfährt er, wenn er die Inquisition Philipps II. erklären und beschönigen will. Zuerst, meint er, sei es mit derselben so sehr schlimm eben nicht gewesen, und dann müsse man sich die Sache durch die damaligen Zeitverhältnisse verdeutlichen. Verschwiegen wird in der Schrift, dass die niederländische Aristokratie sehr triftige Gründe hatte zu besorgen, dass Philipp II. die Ansicht habe, die spanische Art der Inquisition in ihren Landen einzuführen. Verschwiegen wird, dass allerwärts, wie Aragonien, Neapel, Mailand beweisen, diese spa nische Inquisition, für deren Ausbreitung und Ausdehnung Philipp II

mit unmaasslichen Anstrengungen arbeitete, von den meisten Menschen, besonders aber von den grossen Geschlechtern, die sich bis dahin noch in einiger Unabhängkeit erhalten hatten, als das äusserste Unglück, als Vorbote nahenden gänzlichen Unterganges betrachtet ward. Es wird in dem Buche sogar behauptet, die niederländische Aristokratie habe nicht den mindesten Grund gehabt zu besorgen, dass die spanische Regierung ihre weltlichen Rechte und Privilegien antasten wolle. So geht das Bestreben des Vfs. fortwährend dahin, die hohe Aristokratie als das abscheulichste und nichtswürdigste Gesindel hinzustellen, durch welche das Volk bloss verführt worden sei, zu glauben und anzunehmen, dass viele Dinge nicht wären, wie sie sein sollten. Auf welchem religiös-kirchlichen Standpuncte der Vf. dabei steht, kann man aus der Erklärung sehen, die er über die Anforderung der Bekenner der Reformation (deren Ausschreitungen dadurch nicht im Allermindesten in Schutz genommen werden sollen) auf Gewissens- und Religionsfreiheit abgiebt. Sie hätten, meint er, nicht den mindesten Rechtsanspruch darauf gehabt, da eine solche Anforderung dem Willen der Regierung und der herrschenden Kirche entgegen gewesen sei. Das ,,es ist nun einmal so", spielt in dieser Schrift überhaupt eine nicht unbedeutende Rolle. Alba's Verfahren findet der Vf. deshalb auch ziemlich in der Ordnung,,,denn, heisst es, er war einmal im Kriegshandwerke ergraut und an das Blutvergiessen gewöhnt, er war rechtsunkundig und dem ordentlichen Processverfahren abgeneigt, er hielt das summarische Justizverfahren für die beste Justiz, er war von so rauher Gemüthsbeschaffenheit, dass er Mitleid und Erbarmen nicht kannte, er war vielmehr von der Ueberzeugung geleitet, dass dem Rechte desto besser Genüge geschehe, je mehr Köpfe fielen." Man wird den Geist und den Ton der Schrift kennen gelernt haben, wenn man solche Aeusserungen festhält, und es ist wohl kaum nöthig, etwas Weiteres über dieselbe zu sagen.

[2664] Die Erhebung Europas gegen Napoleon I. Von Heinr. v. Sybel. München, liter.-art. Anstalt. 1860. VI u. 146 S. gr. 8. (15 Ngr.)

Obgleich diese Schrift im Wesentlichen nur der Abdruck dreier Vorlesungen ist, welche der Vf. im März d. J. in München gehalten hatte uad wobei er in gewissem Betracht zunächst nur augenblickliche Absichten und Zwecke verfolgte, so sind doch die Vorlesungen selbst, welche nur auf den Wunsch vieler Zuhörer gedruckt worden, nicht blos auf den Augenblick und auf nur vorübergehende Wirkungen berechnet; sie haben vielmehr in der Richtung auf das, was einem wahrhaft gebildeten Volke das Höchste sein muss, nämlich die Nationalehre und das Nationalbewusstsein, auch einen bleibenden Werth, der sich über das Interesse des Tages erhebt. Indem der Vf. aus nahe liegenden Gründen die Gegenstände seiner drei geschichtlichen Vorlesungen aus der Zeit der Wiedererhebung nationaler Selbstständigkeit gegen

die Napoleonische Weltherrschaft (den grossen spanischen Kampf, das mächtige Ringen Oesterreichs im J. 1809 und den Befreiungskrieg von 1813) wählte, war es ihm bei ihrer Schilderung nicht nur um ein praktisches und lebendiges Interesse für die Gegenwart, sondern namentlich um eine Unterweisung der Sitte, eine Schule der Gesinnung" zu thun, und er hält daher vor Allem den sittlich - nationalen Standpunct fest, von dem aus er jene überaus wichtigen Momente nach den neuesten geschichtlichen Aufklärungen zu dem angegebenen Zwecke schildert, um „die geistigen und sittlichen Tendenzen anschaulich zu machen, durch welche damals der Fall und der Sieg entschieden wurde, durch welche er auch in aller Zukunft entschieden werden wird", und um „ein warmes Bild der Gesinnung zu zeichnen, durch welche Europa, vor Allem unser Vaterland, sich aus tiefem Sturze wieder auf die Höhe der Ehren emporschwang." Aus diesem Grunde sind seine Schilderungen nicht bloss eine Zusammenstellung geschichtlicher Thatsachen, sondern zugleich von pragmatischen Geiste und eben so von sittlichem Ernste als von tiefem und kräftigen Nationalgefühle durchdrungen, und sie lassen ohne der Objectivität der Anschauung irgendwie Abbruch zu thun, dem nationalen Willen und dem nationalen Gewissen, so wie dem Herzen und sittlichen Selbstvertrauen der Völker die volle und unverkürzte Gerechtigkeit wider fahren, die sie vornehmlich vor der Geschichte selbst mit Recht beanspruchen. In gleicher Weise zeichnen sie sich auch durch eine scharfe Charakteristik, prägnante Kürze und Gedankenreichthum aus, und mit tiefem Ernst giebt der Vf. den eindringlichen Lehren der Vergangenheit auch für unsere Gegenwart den rechten Nachdruck. Was er in erster Beziehung den deutschen Fürsten und Völkern im Allgemeinen zu bedenken giebt, läuft in den tröstenden Gedanken zusammen, dass eine innerlich lebendige Nationalität in sich selbst die Kraft des Wachsens hat und nicht von aussen her zertreten werden kann, wogegen er für die einzelnen Beziehungen darauf entschieden dringt, dass Oesterreich mit Preussen und dem ganzen Deutschland verbündet sei." Das Gericht, welches er in dieser Hinsicht nach den Lehren der Vergangenheit seit 1792 über Oesterreich und Preussen, über ihr Unrecht, Schuld und Verderben hält, legt jene Forderung eben so nahe, als es ernst und streng ist und durch die Geschichte und das Gesetz der sittlichen Weltordnung begründet wird, wornach an Glück und Leid, an Ruhm und Unheil eine jede Nation stets das genau empfängt, was sie verdient." Im Uebrigen ist die Betrachtung und Darstellung der Vergangenheit in manchen ihrer Einzelnheiten und Ausgängen in dem nämlichen Grade erhebend und tröstend, sie ausserdem beschämend und strafend ist, und sie vermag gleicher Weise auch für Gegenwart und Zukunft belehrend und kräftigend zu wirken. In diesem Sinne erscheint die vorlieg. Schrift als der rechte und lebendige Ausdruck der höchsten sittlichen Zwecke, die die Geschichte zu verfolgen berufen ist, und sie

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kann auch nicht ohne Eindruck in weiteren Kreisen bleiben. Meisterhaft sind die, oft nur mit wenigen kräftigen Pinselstrichen gezeichneten Charakteristiken hervorragender Persönlichkeiten des deutschen Volks aus jener Zeit, wie Stein, Schleiermacher, Hardenberg, Stadion, Erzherzog Karl, Metternich u. A., und von Ausländern namentlich die Wellingtons. Auch hierbei übt der Historiker sein ernstes Richteramt mit ethischer Strenge, in nationalem Interesse und Selbstgefühl.

Biographie.

[2665] Melanchthon, praeceptor Germaniae. Eine Denkschrift zur 3. Säcularfeier seines Todes von Dr. Ad. Planck, Diak. zu Heidenheim. Nördlingen, Beck. 1860. VIII u. 182 S. gr. 8. (21 Ngr.)

[2666] Phil. Melanchthon, der Lehrer Deutschlands. Ein Lebensbild dem deutschen Volke dargestellt von Dr. H. Heppe. 2. Aufl. Marburg, Koch. 1860. VIII u. 224 S. 8. (n. 15 Ngr.)

[2667] Ph. Melanchthons Leben für christl. Leser insgemein aus den Quellen erzählt von Mor. Meurer. Leipzig u. Dresden, Naumann. 1860. XVI u. 188 S. gr. 8. (221⁄2 Ngr.)

Mit wie grossem Wetteifer auch von den Museen Gelehrter, vorherrschend Geistlicher aus die Rückkehr des dreihundertjährigen Todestages Melanchthons gefeiert worden ist, dass unlängst in die diesen Blättern zugehörige Bibliographie mehr als zwanzig dahin gehörige Schriften und Schriftchen (vgl. oben No. 1681-95.) eingereiht werden konnten, welche durch die post festum bereits erschienenen und noch zu erwartenden Melanchthon - Predigten und Reden leicht noch um das Doppelte sich vermehren dürften: SO darf Ref. doch sicher auf die Zustimmung der Sachverständigen rechnen, wenn er hier wiederholt, dass das betr. eigentliche biographische Element bei dieser starken Concurrenz doch fast gar keinen wissenschaftlichen Fortschritt gemacht habe. Ueberwiegend die Mehrzahl der vorhin gedachten Schriften hat sich begnügt, das bereits seit längerer Zeit in vielen Schriften herausgeförderte geschichtliche Material brevi manu, allerdings je nach den Individualitäten in verschiedener mehr oder weniger ansprechender Form wieder in Umlauf zu setzen, vorzugsweise berechnet auf die Belehrung des Volks zu näherem Verständniss jener Todesfeier und ihrer Würdigung. Dabei ist Ref. weit entfernt, die Nutzbarkeit jener populären Schriften anzufechten und glaubt gern, dass unter den Vielen, welche ein dergleichen Melanthonianum glaubten vom Stapel laufen lassen zu müssen, wohl nicht ein Einziger sei, der in seinem Namen oder in seiner Stellung nicht die Bürgschaft gefunden hätte, seinem Werkchen eine Verbreitung in seinen Umgebungen zuzutrauen, wobei es denn doch immer ein Verdienst bleibt,

solch historisches Wissen, das von seiner Quelle aus bis in unsere Tage hinein einen so weiten Weg zurückgelegt hat, ohne seine treibende Kraft zu verlieren, wieder passend und in seiner Bedeu tung für die Gegenwart aufzufrischen, namentlich in den Volkskreisen bei den Erwachsenen, denen das aus der Schule einst davon Gebrachte gründlich wieder abhanden gekommen ist. Auch unter ihnen dürfte es dann wohl Einen und den Andern geben, dem das durch eine solche Gelegenheitsschrift gebotene Voressen Appetit zu einer reichlicheren Mahlzeit machte und sie nach einer solchen Schrift griffen, wie Ref. sie oben zu gemeinschaftlicher Erwähnung zusammengestellt hat. Auch sie können den Anspruch nicht erheben, auf Grund ausgebreiteter Quellenforschung neue Dinge ans Licht zu ziehen; doch verdienen sie Beachtung als grössere historische Compositionen und greifen theilweise in das Feld der Gelehrsamkeit ein. So kann die Schrift unter No. 2665 als eine recht ansprechende Melanthonstudie bezeichnet werden. Nach einer kurzen Einleitung, welche ihr Verhältniss zu verwandten Arbeiten aufzeigt, beschäftigt sich der 1. Abschnitt mit M.'s Leben (-48); der 2. bespricht seine theologisch-kirchlichen und dann seine humanistischen Arbeiten (-85) und der letzte ist bemüht, sein Bildungsideal theils aus seinen Schriften, theils von seiner Persönlichkeit aus zu abstrahiren (-154); ein Anhang bringt ein Florilegium anziehender lateinischer Briefe aus der Feder des fleissigen Mannes (-183). Diese Schrift dirigirt sich von selbst in die gelehrten Kreise und hat unbestreitbar das Verdienst, in den von ihr ausgehenden Anregungen die Keime zu weiteren Untersuchungen darzubieten. Die Schrift unter No. 2666 athmet in Composition und Durchführung historischen Geist und umfasst das ganze äussere und innere Leben M.'s. Man folgt dem Vf. mit Theilnahme von Station zu Station und ist erfreut, dass man hier nicht durch die Vorliebe des Vfs. für den Melanthon'schen Lehrtypus dem Luthers gegenüber gestört wird, die ihm in gelehrten Kreisen den Vorwurf nicht hat ersparen können, dass er in seinen M. Manches hineingelegt hat, was nur durch subtile Consequenzen und unberechtigte Zuhilfenahme moderner theologischer Begriffe in ihm zu finden ist. Die Schrift unter No. 2667 hat ihre beste Empfehlung in einer mit Beifall aufgenommenen Arbeit ihres Vf.s über Luthers Leben und gewährt schon in dem Ueberblicke des Inhalts und seiner Anordnung S IX-XII die Ueberzeugung von einer Vollständigkeit, die in der Ausführung selbst, neben dankbarer Benutzung guter Vorgänger, die Titelhinweisung auf wirkliche Quellenstudien, namentlich aus Werken von Zeitgenossen Melanthons, nicht zu einer blossen Formel hat werden lassen. Aber auch durch ihn ist das Bedürfniss einer kritisch-gesichteten Lebensbeschreibung M.'s, namentlich in seiner Construction aus dem Briefreichthum des Bretschneider - Bindseil'schen Corpus Reformatorum noch nicht befriedigt.

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