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7.

Einzelne Gedanken zur Fortsegung meines

Laokoon.

Ich behaupte, daß nur das die Bestimmung einer Kunst seyn kann, wozu sie einzig und allein geschickt ist, und nicht das, was andere Künfte eben so gut, wo nicht besser können, als sie. Ich finde bei dem Plutarch ein Gleichniß, das dieses sehr wohl erläutert. Wer, sagt er (de Andit. p. 43. edit. Xyl.), mit dem Schlüssel Holz spellen und mit der Art Thüren öffnen will, verdirbt nicht sowohl beide Werkzenge, als daß er sich selbst des Nugens beider Werkzenge beraubt.

Der Kunstrichter muß nicht bloß das Vermögen, er muß vornämlich die Bestimmung der Kunst vor Augen haben. Nicht alles, was die Kunst vermag, soll sie vermögen. Nur daher, weil wir diesen Grundfas vergessen, sind unsere Künfte weitläuftiger und schwerer, aber auch von desto weniger Wirkung geworden.

Nach dem Petit mußte nothwendig das Kunstwerk später seyn, als die Beschreibung Birgil's; denn er will, daß die ganze Episode des Laokoon eine Erfindung des Virgil sey. (Miscell. observ. lib. IV. cap. XIII. P. 294.) Tametsi Servius revera hoc

Laoconti accidisse ex Euphorione refert, quod piaculum contraxisset coeundo cum uxore ante simulacrum numinis; verosimilius tamen est, a Marone hoc totum fuisse inventum, ac pro machina inductum, qua dignum vindice nodum explicaret, quomodo videlicet ausi sint Trojani tam enormem et concavam simulacri compagem transferre in urbem etc. Allein diese Meinung des Petit ist leicht zu widerlegen: indem der Spuren. der nämlichen Geschichte des Laokoon bei früheren und zwar griechischen Scribenten, eben so viele, als klare und deutliche sind.

8.

Über Gerard's Meinung, daß die Malerei auch das Erhabene ausdrücken könne, wels ches mit der Größe der Dimensionen. verbunden ist.

Gerard *) glaubt, wider meine Meinung, daß die Malerei auch das Erhabene ausdrücken könne, welches mit der Größe der Dimensionen verbunden ist. Denn, fagt er, ob sie gleich diese Dimensionen nicht selbst beibehalten kann, so läßt sie ihnen doch

*) On Taste. London 1759. P. 24.

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ihre comparative Größe, und diese ist hinlänglich, das Erhabene hervorzubringen. — Er irrt sich: diese ist hinlänglich, um nur zu erkennen zu geben, daß dergleichen comparative große Gegenstände in der Natur erhaben seyn müssen; aber nicht vermögend, die Empfindung selbst hervorzubringen, die fie in der Natur erwecken würden. Ein großer majestätischer Tempel, den ich unmöglich mit einem. Blicke übersehen kann, wird eben dadurch erhaben, daß ich meinen Blick darauf herumreisen lassen kann; daß ich überall, wo ich damit stille stehe, ähnliche Theile von der nämlichen Größe, Festigkeit und Einfalt bemerke. Über eben dieser Tempel, auf den Kleinen Raum einer Kupferplatte gebracht, hört auf, erhaben zu seyn, das ist, meine Bewunderung zu erregen, eben deßwegen, weil ich ihn auf einmal übersehen kann. Wenn ich mir ihn schon nach allen den gehörigen Dimensionen ausgeführt denke, so empfinde ich nur, daß ich mich alsdann verwundern würde, ihn so ausgeführt zu sehen, aber noch verwundere ich mich nicht. Zwar kann ich mich über seine Figur, über seine edle Einfalt verwundern; aber dieses ist eine Verwunderung, welche aus dem Anschauen der Geschicklichkeit des Künstlers, nicht aber aus dem Anschauen der Dimensionen entsteht. S. Hagedorn S. 335. Von dem Erhabenen der Landschaften, Was er von dem Carnieße anz führt, scheint nichts zu seyn und gerade gegen den Werth der Landschaften. Eben weil mehr

Mechanisches dabei ist, könnte er mehr davon schreiben.

Aber in den menschlichen Figuren kann der Künstler eine Art der Erhabenheit erreichen, wenn er gewisse Glieder über die Proportion vergrößert. S. was Hagedorn von dem Apollo Belvedere sagt, und Gerard S. 147.

9.

Einige Bemerkungen aus den Observations sur l'Italie Tom. 11. und Richardson's Traité de la Peinture Tom. I.

An dem Tage des H. Rochus (S. 30.) haben die Maler zu Venedig die öffentliche Ausseßung ihrer Gemälde, dans la Scuola di S. Roch. Cette Scuola, F'une des premières de Venise, est remplie de sujets du N. T. de la main de Tintoret, de la plus grande force de ce. Maitre. Je suis singu. lièrement frappé de celui qui représente l'Annon ciation. Le mur, qui ferme la chambre de la Vierge du coté de la campagne, s'écroule, et l'ange entre de plein vol par la brèche.

Dieser Einfall ist vortrefflich. Da der Maler das geistige Wesen des Engels nicht ausdrücken konnte, welches alle Körper, ohne sie zu zerstören,

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durchdringen, kann, so drückt ́er seine Macht auf. Am Ende erweckt es auch die nämliche Idee, daß nämlich ein solches Wesen von nichts ausgeschlossen, von nichts abgehalten wird; es mag nun durch seine Geistigkeit oder durch seine Macht seyn.

Plinius lib. 35. cap. 37. vom Arellius: Flagi. tio insigni corrupit artem, Deas pingens ut Dilectarum imagines. Er portraitirte fie, an= statt sie nach dem Ideale zu malen. Das nämliche haben verschiedene neueré Maler mit der H. Jungfrau gethan, z. E. Carl Maratti, welcher das Vorbild dazu von seiner Frau nahm.

Es hat sogar große Maler gegeben,*)` welche in ein einziges Gemälde die ganze Folge einer Geschichte zu bringen gesucht haben. Wie z. E. Titian selbst, die ganze Geschichte des verlornen. Sohnes, von der Verlassung seines väterlichen Hauses bis zu seinem Elende. Richardson sagt, diese Ungereimtheit sey dem Fehler gleich, welchen schlechtè dramatische Dichter begehen, wenn sie die Einheit der Zeit übertreten, und ganze Jahre ein einziges Stück dauern lassen.

• Richardson Traité de la Peinture, Tom. I. p. 43.

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