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Wert von wenig vorspringenden Pilaftern war, *) und vor zwei Jahren barbarischer Weise weggenommen ist, war augenscheinlich der Größe dieses Tem pels nicht gemäß: an der Stelle deffelben müssen die Karyatiden ehemals gestanden haben. Es trifft wenigstens die Maaß der Farnesischen Figur mit der Höhe der attischen Ordnung überein, welche an neuns →zehn Palmen hat. Diese halbe Figur hat etwa acht Palmen, und der Korb auf dem Kopfe drittehalb. Was einige Scribenten **) bisher für dergleichen Ka= ryatiden angesehen haben, zeugt von ihrer größen. Unwissenheit. Eine besondere Art von Karyatiden war in dem Grabmale der Freigelaffenen des Sextus Pompejus, ***) we stehende männliche nackte Figuren auf dem Kopfe ein Kapitäl trugen, und mit beiden Händen eine stehende Säule hielten, welche aver nichts zu tragen hatte.“ –

Natürlich mußte Lessing es widerfinnig und auffallend finden, daß Winkelmann, der die Stelle Vitruv's vor Augen hatte und Sprachkenntniß genug besaß, von einer männlichen Karyatide reden, und in dem Bruchstück einer männ

*) Conf. Stuckely's Account of a Roman Temple;' Philos. Transact, 1720. Dec.

**) Demontios. Gallus Romae Hospes, p. 12. Nardini Roma, p. 343. ed. 1704.

***) Montfaucon, Antiquité expliquée. T. V. pl. 16.

lichen, Figur die Bildung einer solchen zu finden, `glaubte, die nicht nur ihr Name schon als weiblich, andeutet, sondern die auch Vitruv unmittelbar vor der oben angeführten Stelle noch ganz ausdrücklich als weiblich angiebt:, Si quis statuas marmoreas, mulieres stolatas, et quae Caryatides dicuntur, pro columnis in opere statuerit, et insuper mutulos et coronas collocaverit, percontantibus ita reddet rationem. Und kaum ist es vollends zu bez greifen, wie er diesen Irrthum nach zwei Jahren in seiner Geschichte der Kunst wiederholen konnte.

Eher noch hätte er bei jenem Bruchstück einer männlichen Bildfäule an die Perser denken können, von denen Vitruv unmittelbar nach der Stelle über die Karyatiden ein gleiches Schicksal erzählt, nach dem sie von den Lacedämontern, unter Anführung. des Paufanias, in der Schlacht bei Platäa waren überwunden worden; obgleich der Gebrauch dieser persischen Bildsäulen an. Gebäuden sehr selten gewes sen, und kein Überrest aus dem Alterthume mehr das von vorhanden zu seyn scheint. *)

Aber W. hielt nun cinmal die Karyatiden, wie. er auch in der zweiten Stelle ausdrücklich sagt, mit den Atlanten und Telamonen für einerlei, und dachte nicht an die schon im Namen der erstern liegende Verschiedenheit des Geschlechts, noch an die

Bergl. Dr. Stieglig, Geschichte der Baukunst der
Alten (Leipz. 1792. 8.), S. 329.

ausdrückliche Bezeichnung und ganze Erzählung beim Vitruv.

Hätte er diese mehr vor Augen gehabt, so würde er auch jenen Überrest einer Statue schon deß wegen für keine Karyatide gehalten haben, weil sie einen Korb auf dem Kopfe trägt, aus welchem, feiner eigenen Vorstellung nach, Blätter hervorragen. Von den Karyatiden fagt Vitruv ausdrücklich, daß sie oneri ferendo collocatae, zur Eragung der Laft des obern Theils der Gebäude, oder des Gebälkes, gleich den Säulen, bestimmt gewesen find; und eben dies war auch bei den Atlanten und Telamonen der Fall. Telamones, sagt Vitruv,*) dícuntur a statuariis signa in muris, quae mutulos vel coronas, aut similia sustinent, quae Graeci urlavius Vocant. Was mutili bei den Gebäuden waren, erz klärt eben dieser Schriftsteller: **) Ut e tignorum dispositionibus trigly phi, ita e cantheriorum projecturis mutulorum sub coronis ratio est in-, venta. Ita fere in operibus lapideis et marmoreis mutuli inclinati scalpturis deformantur, quod est imitatio cantheriorum. Die coronae aber waren, wie bekannt, die, auch davon benannten, Kornischen oder Karniese.

Eher noch hätte Winkelmann bei dem Reste oder Tronco jener Figur an die, Kanephoren (za

*) De Architect. L. VI. c. 9,

**) Ibid, L. IV. c. 2.

vηpogoi) oder Statuen denken können, welche Blumenkörbe auf den Häuptern trugen. Aber auch diese waren weibliche Figuren, und wurden wohl nie staft der Säulen gebraucht. Bloß die Nähe des Pantheons scheint ihn also zu seiner nicht gar glücklichen Muthmaßung, und der weitern Ausführung derselben, verleitet zu haben.

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Mag es übrigens mit der Erzählung Bitruv's von Entstehung der Benennung der Karyatiden für eine Bewandniß haben, welche es will; genug, die Sache hat ihre Richtigkeit, daß dergleichen Figuren zu Säulen selbst, auch wohl nur zum verzierenden Bildwerke derselben, gebraucht worden find. Das lehren uns die noch davon vorhandenen Beweise, vorz nämlich die Karyatiden an dem Pandroseum, einem Theile des Erechtheus-Tempels zu Athen, dessen Gebälk von Karyatiden getragen wird, zon denen vier an der Fronte befindlich sind, und an jeder Seite eine steht.*) Daß aber die vier hermetischen

*) S. The Antiquities of Athens, T. II. Ch. 2. PI. XVI-XX. Bergl. Dr. Stiegliß's Geschichte der Baukunft der Ulten, S. 320. 330. Nur aus der An= führung des Herrn von Blankenburg bei der N. U. von Sulzer's allgem. Theorie, Art. Karyatiden, kenne ich die eigene Sammlung von Abbildungen dieser Figuren, die Ger. v. Jode in Kupfer gestochen, und unter dem Titel herausgegeben hat: Caryatidun, Ternas vocant, sive Atlantidum multiformium, ad quemlibet Architecturae ordinem accommodatarum, Cent. I, 16 BI.

Säulen eines Merkurtempels auf einer Münze des Kaisers Mark Aurel, in der Sammlung der Königinn Christina, welche Winkelmann nachweist, Karyatiden seyn sollten, ist mir noch zweifelhaft; we nigstens erhält das aus der, ziemlich unbestimmten, Kupferabbildung nicht. Haverkamp nimmt fié in feiner Erklärung für vier Atlanten.

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In beiden angeführten Stellen sagt übrigens Winkelmann mit den nämlichen Worten, daß dasjenige, was einige Scribenten bisher für dergleichen Karyatiden angesehen haben, von ihrer großen Un wiffenheit zeuge. Und hier nennt er den Demon: tiofius und Nardini.

Demontiofins, oder de Mont-Josien, handelt in dem zweiten Abschnitte seines ziemlich selten gewordenen Buchs *) von dem Pantheon des Agrippa, und von der Symmetrie der Tempel des Alterthums. Nachdem er sich in Ansehung jenes Gebäudes auf die bekannte Stelle beim Pliniu s bezogen hat, verweilt er sich gleich Unfangs bei den von diesem Schriftsteller erwähnten Karyatiden. Primum igitur, sagt er, videndum est, quae essent illae caryatides ab autore nostro celebratae, et ubi sitae essent. Tum, si quae earum supersint hodie vestigia. Existimarunt recentiores artifices, caryatides ab antiquis pro columnis tantum oneri ferendo factas fuisse, et

Gallus Romae Hospes, Romae 1785.

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