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künstlerisches Interesse mehr durch die Sittenschilderung und die Charaktere der Nebenpersonen als durch den Helden und seine liebende Retterin.

Riesenspielzeug.

Drama und Verse von Karl Mönckeberg.

Nach französischer Manier trägt der Sammelband feinen Haupttitel von dem ersten Stück, einer einaktigen Komödie Namens „Riesenspielzeug“. Diese spielt im Park eines Landsizes in Blankenese. Das Riesenspielzeug ist ein Gärtner, der mit der Familie des Besizers eng verbunden ist. Bevor wir diese eigenartigen Beziehungen verfolgen, werden wir gut thun, die Personen ins Auge zu fassen, um zu sehen, wieweit ihr Charakter solche Zustände möglich macht. Da zeigt sich, daß es dem Verfasser nicht an Beobachtungsgabe fehlt, nur daß, entsprechend der Zolaschen Mode, auch sein Blick mit Vorliebe das Häßliche sucht und das Niedrige die Grenze des Rohen, Abstoßenden überschreiten läßt. So erscheint namentlich der Amtsrichter übertrieben in seiner Versumpfung gezeichnet. Er will seine Schwester Eva an seinen Freund, einen unbemittelten Maler, verheiraten, um diesem Geld zuzuführen und seine Schwester von dem Gärtner zu entfernen, dem der Amtsrichter seine eigene bisherige Geliebte, die Hausstandsdame, als Frau zugedacht hat. Dieser in seiner Naivetät bemerkt kaum, wie man ihn ins Garn locken will. Er hat eine ansehnliche Erbschaft von der verstorbenen Tante Evas erhalten, bleibt aber in seiner Stellung und ist nur bemüht, seine Bildung zu erweitern, denn er hofft auf Evas Hand, wozu ihm das Mädchen Hoffnung genug macht! Das Erscheinen des Malers versezt den Gärtner in Eifersucht und doppelte Liebesraserei. Als ihn in dieser Stimmung die abgefeimte Hausstandsdame zu berücken sucht, verwirren sich ihm die Sinne und, nachdem er sie eben zurückgestoßen, fällt er sie in wütender Umarmung an. Der

Amtsrichter stellt ihm triumphierend die Wahl zwischen Heirat mit dem Mädchen, dessen er selbst überdrüffig, und Verlassen des Dienstes. Der Gärtner wählt das lettere und nimmt beim Gehen noch den Trost mit, daß Eva, die sich durch seine Ausschreitungen nur vorübergehend beirren ließ, ihm neue Hoffnung auf ihre Hand für die Zukunft erweckt, wenn er sich einen angesehenen Plaz in der Welt erobert hat! Man sieht, wir haben es mit einer unvermittelten Mischung von krassem Naturalismus und phantastischer Romantik zu thun. Der Eindruck weiter Strecken des Dramas ist unerfreulich.

Glücklicher zeigt sich das Talent des Verfassers in den lyrischen Gedichten. Die Verse sind gewandt, und gelingt auch selten die Rundung zu plastischen Bildern, so finden sich doch manche recht geistreiche Gedanken. Wir nennen aus der einen Abteilung besonders „Freund Chamäleon“ und „Dem Mulus“, aus der andern Doktor Goethe im Faustkolleg". In diesem zeigt sich am meisten schöpferische Fähigkeit. Zwar beginnt sich die Fauftforschung von dem hier gezeichneten Stadium der Ideenauslegung immer entschiedener zu entfernen; indessen können wir die allgemeine Berechtigung der hier gebotenen Satire noch nicht völlig bestreiten. Da springt Goethe in Entrüstung empor:

"

„Warum seziert ihr mein Talent
Hier vor den Sinnlich-jungen?
Daß jeder mich verstehen könnt',
Drum hab' ich Deutsch gesungen!
Nicht dazu kämpfte Ahnungskraft
Mit Erde, Höll' und Himmeln,
Daß hier als öde Wissenschaft
Mein Lied mir soll verschimmeln!

Professor reckt sich stangensteif
Und kreischt im fisteltone:

Mein Herr, sie sind nicht goethereif,
Betrunken zweifelsohne!

Nennt es betrunken oder wie
Nur faselt nicht von Dichtern!
Ersäh❜t ihr was von Poesie,

Jhr wär't nicht gar so nüchtern.

Gottschöpferkräfte im Genie
Mißkennt ihr allegorisch,

Zerpflückt lebendige Phantasie

Echt Wagner profefforisch ..."

Das alles ist doch aus einer gewissen schöpferischen Fülle
Von besonderem Interesse ist schließlich noch

herausgeboren.

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der Dialog zwischen „Dichter und Mäcen“. Recht erfreulich giebt sich die Gesinnung des Dichters gleich am Anfang:

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Und Phantasie späht durch die Gassen,
Wie sie, was mit dem Hunger ringt,
Erbarmend auf die Bühne bringt

Was frag' ich nach Partei? die Züge einer Welt,
Die finstern will ich wie die heitern

Wahr sehen, ungeschminkt und unverstellt;

mich ekelt's vor Prinzipienreitern."

Der Schluß, der dann doch „Heilandsmut und Opferlust“ als Losung ausgiebt, ist nicht so ganz klar. Jedenfalls wünschten wir den Autor lieber auf den in diesen Gedichten bezeichneten Pfaden weiter wandeln zu sehen, als auf den Wegen, die seine Dramen einschlagen.

Das Tschaper1.

Ein Wiener Stück in14 Aufzügen von Hermann Bahr.

Hermann Bahr hat sich eine führende Stellung unter den Wiener Modernen errungen. In der Kritik ist er jedenfalls unbestritten ihr Vorkämpfer, auch produktiv erobert er sich durch vorliegendes Drama einen achtunggebietenden Play in Jung-Wien. Wie aber seine lezte Studiensammlung in maßvolle, allgemeineren Interesses würdige Bahnen einlenkt, so hält sich auch dieses Drama Bahrs frei von ernstlicherer Herausforderung des ästhetischen Gefühls, das

fich so oft gegen Geschmacklosigkeiten und Übertreibungen der jüngsten Talente richten mußte. Von der modernen Schule hat Das Tschaperl" (das Schäflein) die sorgfältige Behandlung der Details; aber es sind nicht nur geschickt Einzelzüge zusammengetragen, vielmehr ganze Charaktere aus dem Vollen geschöpft. Leider ist auch das Erbübel der jüngstdeutschen Dramatiker auf Bahr übergegangen, an Stelle einer geschlossenen Handlung eine Reihe von Szenen ohite klaren Abschluß zu bieten. Zwar gelten auch uns im Drama die Charaktere, die Menschen als Grundlage und Hauptsache, der eben die Handlung erst entspringt; aber bloße Produzierung der Charaktere ohne einschneidende Entwickelung und Geschehnisse gilt hent als litterarische Mode. Ganz so weit geht Hermann Bahr nun nicht; es geschieht etwas Entscheidendes: das berühmt gewordene Tschaperl geht ihrem Ehemann durch, - indessen deutet sowohl der Charakter der Heldin wie die verhältnismäßige Gelindigkeit der Ursachen ihres Scheidens aus dem ehelichen Heim darauf hin, daß diese Trennung vielleicht nur eine vorübergehende Episode bleiben wird. In jedem Fall, auch wenn der Dichter an einen tragischen Ausgang denkt, entsteht die Frage: wie bald und vor allem wie wird sie heimkehren? Mit Hohn auf den Berühmtheitsschwindel der Gegenwart und mit der Kraft, wieder ein stilles Glück zu suchen? Oder mit Verzweiflung an jedem ferneren Glück und Leben, erniedrigt und voll Selbstekel? Die stärkste innere Wirkung würde gewiß ein solcher, organisch wohlberechtigter, tragischer Ausgang erzielen; er könnte das Problem bis zu den äußersten Konsequenzen ausschöpfen. Aber dazu wäre denn doch auch etwas tiefere Motivierung des Vondannengehens der Frau eine unerläßliche Vörbedingung.

Unter den Charakteren ragt die Titelheldin am wenigsten hervor; sie ist schlechtweg unbedeutend. Wollte der Dichter einen tragischen Ausgang glaubhaft machen, so wäre die erste Vorausseßung, die geistige oder doch künstlerische Bedeutung der berühmten Frau wenigstens so weit hervortreten zu lassen, daß wir innere Gründe sehen, aus denen sie in ihrer Ehe unbefriedigt sein kann. Bloßer Zank ist doch zu kleinlich für Motivierung einer Katastrophe. Glücklich gezeichnet ist dagegen der Ehemann und sein Vater, zwei Typen

des alten und neuen Wien, denen es an einer Reihe individueller Züge keineswegs fehlt. Originell ist auch der Cafimir Bininski, der Männ der Primadonna, und vor allem Rosetti, der König der Agenten. Hier hat der Dichter offenbar mit Treffsicherheit nach lebenden Modellen gezeichnet. Schon um leßterer Figur willen hätte sich die Vervollständigung der Handlung bis zu ihrem natürlichen Schluß gelohnt. Der Zug nach Größe, sei es der Tragik oder nur der Satire, wäre alsdann stärker hervorgetreten als in dem vorliegenden abgehackten „Wiener Stück“.

Moderne Mädchen.

Drama in 4 Aufzügen von S. Sema.

Wir wollen nicht behaupten, daß es dem hier entrollten Bild aus dem modernen Mädchenleben in den Hauptsachen an Wahrheit gebricht: aber ein künstlerisches Bild ist es noch lange nicht. Ez handelt sich um eine jener zahlreichen Stoffwiedergaben, die das Ärgernis des Stoffes nicht zu überwinden vermögen. Ärger, Pein, Ekel sind aber keine künstlerischen Wirkungen.... Auch im einzelnen ist manches zu plump arrangiert. Fällt schon die Nervenüberreizung der Heldin mehr ins pathologische als ins ästhetische Gebiet, so ist ihr Verführer eine gar zu widerliche Karikatur des Klavierlöwen, um nicht die Hingabe des überfeinfühligen Mädchens doppelt peinlich zu machen. Auch ist es eher bequem als glaubhaft, daß die naturfrische Schwester der Verblendeten, um den Verführer von dem willenlosen Werkzeug irregeleiteter Instinkte fernzuhalten, ihn selbst unter Abscheu küßt; natürlich geht ihr Verlobter im selben Augenblick durch den Garten, und es giebt einen Sturm im Glase Wasser.

Sonst fallen manche geschickte Äußerungen zur Charakteristik der beiden Parteien in der Mädchenwelt. Das Recht der Leidenschaft wird gegenüber den kleinlichen Philisterseclen ebenso energisch verfochten wie von anderer Seite die freie Liebe in ihrer geistlosen, materialistischen Genußsucht enthüllt: In einem natürlichen Weibe

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