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12. Fabel.

Diese Fabel ist vortrefflich erzehlt. Und wie sehr hat sie Christ verhunzt. Phäder sagt

Ad fontem Cervus, quum bibisset, restitit.

Schön! als er getrunken hatte; denn alsdenn verhinderte ihn der Durst nicht mehr daran. Christ aber sagt:

In fonte Cervus cornua adspexit bibens.

Und wie elend ist das folgende timendum vertice arduo decus. Das timendum verderbt alles. Das Geweih muß hier nicht von seiner nüßlichen Seite gezeigt werden.

Beh dem Fontaine sind die vier lezten Zeilen das beste; und die übrige Erzehlung taugt nichts.

In dem Griechischen, ist statt der Jäger ein Löwe, welches der einzige Unterschied ist, den es mit der lateinischen Fabel hat.

13. Fabel.

In den Griechischen Fabeln, des Aphthonius ausgenommen, ist, weit schicklicher, anstatt des Käses, ein Stück Fleisch. Denn dieses läßt sich ohne Zweifel weit leichter im Schnabel wegtragen, als jener.

Die erste von den griechischen ist die artigste, weil die Lehre, die der Fuchs dem Raben giebt, gleichwohl noch mit seinen Schmeicheleyen zusammen hängt. Erst sagt er, er verdiene über alle zu regieren, wenn es ihm nicht an der Stimme fehle; und hernach, wenn es ihm nicht am Verstande fehle.

Beym Fontaine spricht der Sittenlehrer allzufehr durch den Fuchs.
Die 2 lezten Zeilen bey dem Phäder sind überflüßig und schlecht.

14. Fabel.

Die vierte und fünfte Zeile müßen nothwendig eingeflickt seyn, und es wundert mich, daß dieses noch niemand bemerkt hat. Denn man mag nun die Krankheit auf den König oder auf den Schuster ziehen, so ist dieser Umstand doch höchst unsinnig angebracht. Der Zusammenhang und die Construction leidet auch nicht das geringste, wenn man sie wegläßt.

Malus cum sutor inopia deperditus
Medicinam ignoto facere coepisset loco,
Et venditaret falso antidotum nomine,
Rex urbis, eius experiendi gratia etc.

15. Fabel.

Diese Fabel ist eine von den schönsten des Phäders, und findet sich in dem Griechischen nicht.

Der Eingang der Fontainschen Nachahmung taugt nichts, und verdirbt viel. Denn es war doch ein großes Verdienst des Alten gegen den Esel, daß er ihn auf eine so schöne Weide brachte.

16. Fabel.

Diese Fabel kömmt im Griechischen nicht vor; aber sie ist auch sehr mittelmäßig.

Die zweyte Zeile scheint mir nichts weniger, als lateinisch zu seyn. Mala videre expetit. Weffen mala? Was für mala? Könnte man nicht vielleicht malam lesen, und es auf das vorige rem ziehen?

17. Fabel.

Diese Fabel ist sehr schlecht, und die alte Fabel bey dem Romulus, nach welcher Christ seine gemacht hat, ist schöner; obgleich auch nicht sehr schön.

18. Fabel.

Kömmt in dem Griechischen gleichfalls nicht vor. Scrofa welches Christ aus den alten Fabeln anstatt der andern Hündinnen gesezt hat, ist keine gute Verbeßerung. Es ist natürlicher, daß sich einer Hündin eine Hündin erbarme, als daß es eine Bache thue.

XIX. Fabel.

Im Griechischen ist es die 208 Fabel. Die Moral, welche Phädrus daraus zieht, ist nicht allein höchst gemein, sondern auch ganz die unrechte. Der Grieche trift sie weit beßer.

πολλοι, δι ελπιδα κερδους επισφαλούς, μοχθους ύφι ξάμενοι, φθανουσι πρώτον καταναλισκομενοι. δ. i. Miele, bie

in Hoffnung eines unsichern Gewinnstes, sich einer schweren Arbeit unterziehen, kommen um, ehe sie zum Zwecke gelangen.

Warum Fontaine aus dem Leder einen todten auf dem Waßer schwimmenden Esel gemacht habe, ist schwer einzusehen. Und welch ein elender Eingang, der uns die wahre Absicht der Fabel ganz aus den Augen bringt. Nach seiner Erzählung sollte man glauben, diese Fabel lehre weiter nichts, als, daß der Hund sot und gourmand sey. Phädrus hat Fontainen verführt, aus einer seichten Moral eine noch seichtere zu machen. Der schöne Schluß soll den Fehler einigermaßen wieder gut machen; aber umsonst. Wenn der Schluß zu Anfange stünde, und der Anfang gar wegbliebe.

Ohne Zweifel hat Fontaine mit dem weitschweifigen Anfange es wahrscheinlicher machen wollen, daß Hunde einen so albernen Anschlag faßen können. Allein wozu diese ängstliche Wahrscheinlichkeit.

20. Fabel.

Ueber die Wirklichkeit der Dinge außer Gott.'

1

Ich mag mir die Wirklichkeit der Dinge außer Gott erklären, wie ich will, so muß ich bekennen, daß ich mir keinen Begriff davon machen fann.

Man nenne sie das Complement der Möglichkeit; so frage ich: ist von diesem Complemente der Möglichkeit in Gott ein Bes griff, oder feiner? Wer wird das Lettere behaupten wollen? Ist aber ein Begriff davon in ihm; so ist die Sache selbst in ihm; so sind alle Dinge in ihm selbst wirklich.

Aber, wird man sagen, der Begriff, welchen Gott von der Wirklichkeit eines Dinges hat, hebt die Wirklichkeit eines Dinges außer ihm nicht auf. Nicht? So muß die Wirklichkeit außer ihm etwas haben, was sie von der Wirklichkeit in seinem Begriffe unterscheidet. Das ist: in der Wirklichkeit außer ihm muß etwas seyn, wovon Gott keinen Begriff hat. Eine Ungereimtheit! Ist aber nichts dergleichen, ist in dem Begriffe, den Gott von der Wirklichkeit eines Dinges hat, alles zu finden, was in dessen Wirklichkeit außer ihm anzutreffen: so sind beide Wirklichkeiten Eins, und alles, was außer Gott eristiren soll, existirt in Gott.

Oder man sage: die Wirklichkeit eines Dinges sey der Inbegriff aller möglichen Bestimmungen, die ihm zukommen können. Muß nicht dieser Inbegriff auch in der Idee Gottes seyn? Welche Bestimmung hat das Wirkliche außer ihm, wenn nicht auch das

1 Lessings Leben II, S. 164-167; wie Karl Lessing S. 93. sagt, „an Moses Menbelssohn gerichtet."

Urbild in Gott zu finden wäre? Folglich ist dieses Urbild das Ding selbst, und sagen, daß das Ding auch außer diesem Urbild existire, heißt, dessen Urbild auf eine eben so unnöthige als ungereimte Weise verdoppeln.

Ich glaube zwar, die Philosophen sagen, von einem Dinge die Wirklichkeit außer Gott bejahen, heiße weiter nichts, als dieses Ding bloß von Gott unterscheiden, und dessen Wirklichkeit von einer andern Art zu seyn erklären, als die nothwendige Wirklichkeit Gottes ist.

Wenn sie aber bloß dieses wollen, warum sollen nicht die Begriffe, die Gott von den wirklichen Dingen hat, diese wirklichen Dinge selbst seyn? Sie sind von Gott noch immer genugsam unterschieden, und ihre Wirklichkeit wird darum noch nichts weniger als nothwendig, weil fie in ihm wirklich sind. Denn müßte nicht der Zufälligkeit, die sie außer ihm haben sollte, auch in seiner Idee ein Bild entsprechen? Und dieses Bild ist nur ihre Zufälligkeit selbst. Was außer Gott zufällig ist, wird auch in Gott zufällig seyn, oder Gott müßte von dem Zufälligen außer ihm keinen Begriff haben. Ich brauche dieses außer ihm, so wie man es gemeiniglich zu brauchen pflegt, um aus der Anwendung zu zeigen, daß man es nicht brauchen sollte.

-

Aber, wird man schreien: Zufälligkeiten in dem unveränderlichen Wesen Gottes annehmen! Nun? Bin ich es allein, der dieses thut? Ihr selbst, die ihr Gott Begriffe von zufälligen Dingen beilegen müßt, ist euch nie beigefallen, daß Begriffe von zufälligen Dingen zufällige Begriffe find?

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