Page images
PDF
EPUB

FÜR

PHILOLOGIE UNDPÆDAGOGIK

Herausgegeben

von

Dr. Gottfried Seebode,

M. Johann Christian Jahn

und

Prof. Reinhold Klotz.

Vierter Band. Erstes Heft.

Leipzig,

Druck und Verlag von B. G. Teubner.

1 8 3 6.

[blocks in formation]
[ocr errors][merged small]
[merged small][ocr errors]

Ueber den Verfasser des Rhesus und die Zeit seiner Aufführung.

Eine der schwierigsten Fragen in der Literaturgeschichte des

Euripides ist die Untersuchung über den Verfasser des Drama Rhesus, und über die Zeit der Aufführung desselben. Ueber beides sind in der letzten Zeit besonders Vermuthungen aufgestellt, die jedoch des Beweises ermangeln. Darum hofft der Verfasser um so eher Entschuldigung zu finden, wenn auch er seinen Beitrag zur Erforschung der Wahrheit liefert. Zugleich kann er versichern, dass er seit längerer Zeit schon dieser Tragödie seinen Fleiss zugewandt hat, und dass dieselbe bald mit erschöpfenden Prolegomenen, mit kritischem und exegetischem Commentare und mit den vaticanischen Scholien erscheinen werde. Dass er diesen Aufsatz voranschickt, rührt theils daher, weil er die Urtheile der Gelehrten erfahren will, ob es ihm gelungen ist endlich nach vielen vergeblichen Versuchen das Wahre zu finden, theils schien ihm die Entdeckung: wichtig genug, sie bald bekannt zu machen; da die Vollendung des grössern Werkes sich wohl noch längere Zeit Irazielin kann.

Zugleich bevorworte ich, dass ich hier Vollständigkeit nicht zum Zwecke habe. Alle Meangen zu berücksichtigen, würde mich zu weit führen, und sie werden m der grössern Abhand→ lung ihre Erledigung finden. Unbekümmert daher um das, was Joseph Scaliger, Delrio, Sam. Petitus, Hardion, und selbst Valckenär und Beck gesagt haben, werde ich nur zwei widersprechende Meinungen berücksichtigen, die Hermannische nämlich und die Gruppische. Beide stehen einander auf das Schroffste entgegen, und wir werden endlich zum Resultate kommen, dass, wie das Sprichwort sagt, die Mittelstrasse die beste sei.

Hermann also hat seine schon früher vorgetragene Meinung, dass der Rhesus ein Machwerk der Alexandrinischen Schule sei, durch eine weitläufige Abhandlung im dritten Bande der Opuscula von S. 262 an zu bestätigen gesucht. Ich übergehe hierbei, was in der Einleitung gegen Böckh geschrieben ist, was selbst, wenn es wahr wäre, doch unnütz bleibt, da Böckh seine Meinung, nachdem er die Vaticanischen Scholien kennen gelernt,

in der zweiten Abhandlung *) über die Antigone widerrufen hat. Ebenso wenig passt die Berücksichtigung Matthias zu meinem Zwecke. Nur was Hermann selbst gegen die Echtheit des Stücks und für seinen Alexandrinischen Ursprung erinnert hat, soll hier berührt werden.

Wer die Hermannische Abhandlung gelesen hat, wird wissen, dass sie in zwei Theile zerfällt. Im ersten nämlich, den wir den äussern nenuen können, wird Alles, was uns traditionell über dieses Stück bekannt ist, behandelt, der zweite dagegen, den ich den inneren nenne, sucht die gewonnene Meinung aus dem Stücke selbst zu deduciren.

Am wichtigsten ist ohne Zweifel der erste Theil. Denn wenn dem Verfasser dieser Abhandlung entrissen würde, dass man schon im Alterthum an der Echtheit des Stücks gezweifelt habe, so würde der zweite Theil sehr viel an seinem Gewichte verlieren. Wir hoffen aber, dass es uns gelingen werde, diesen Theil zu widerlegen, wenigstens so weit er Hermanns Meinung begünstigt. Die eigentliche Untersuchung beginnt von der bekannten Stelle des Arguments des Stücks, welche immer grosse Schwierigkeit für die Kritik dieser Tragödie behalten wird. Die Worte selbst lauten folgendermassen: τὸ δὲ δράμα ἔνιοι νόθον ὑπενόησαν, ὡς οὐκ ἂν Εὐριπίδου. τὸν γὰρ Σοφόκλειον μᾶλλον ὑποφαίνειν χαρακτῆρα. ἐν μέντοι ταῖς διδασκαλίαις ὡς γνήσιον ανα уéуoалTαι xτλ. Mögen nun aber diese Worte heissen was sie wollen, die Hermannische Meinung werden sie nie begünstigen. Anders jedoch urtheilt Hermanu. Er, der einige Seiten vorher Böckhen Unrichtigkeit nn Schliessen vorgeworfen hatte, verfällt in denselben Fehler. Blass den Vordensatz im Auge habend, dass Einige das Stück für unecht erklärt hatten, berücksichtigt er gar nicht den Grund, warum sie dieses thaten, nämlich, weil es den Sophokleischen Charakter zu traben schien, sondern schliesst sogleich, dass sie es für das Machwerk eines Alexandriners gehalten hätte, als ob geschrieben stunde, τὸ δὲ δράμα ἔνιοι νόθον ὑπενόησαν, ὡς οὐκ ἂν Εὐριπίδου, ἀλλὰ πεζὸν πάνυ καὶ οὐ πρέ лov avta, wie es nachher vom zweiten Prologe heisst. Oder hält Hermann etwa zɛgos und Zoppóxiɛtos für denselben Begriff? Mag daher Gruppe diese Stelle immer für seine Meinung benutzen, deren Hauptstütze sie ist: aber wie Hermann sich einfallen lassen konnte, sie zu seinem Vortheile zu deuten, das kann ich nicht begreifen. Denn wie alle Gelehrten übereingekommen sind, so waren es nicht historische, sondern ästhetische Gründe, die jene Unbekannten bewogen, dem Euripides das Stück abzusprechen. Aber weit entfernt zu vermuthen, dass das Stück

*) Das Buch ist mir nicht zur Iland, so dass ich im Augenblicke die Stelle nicht genauer angeben kann.

« PreviousContinue »