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Professor der allgemeinen Sprachwissenschaft an der Universität zu Halle.

Zweiter Band.

BERLIN.

VERLAG VON S. CALVARY & Co.

1876.

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§. 1.

Die Völkerschaften des Malayischen Stammes*) befinden sich, wenn man ihre Wohnsitze, ihre Verfassung, ihre Geschichte, vor allem aber ihre Sprache betrachtet, in einem sonderbareren Zusammenhange mit Stämmen verschiedenartiger Cultur, als leicht irgend ein anderes Volk des Erdbodens. Sie bewohnen bloss Inseln und Inselgruppen, aber in einer Ausdehnung und Entfernung von einander, welche ein unverwerfliches Zeugniss ihrer frühen Schifffahrtskunde abgiebt. Ihre continentale Niederlassung auf der Halbinsel Malacca verdient hier kaum besonders erwähnt zu werden, da sie eine spätere ist und sich aus Sumatra herschreibt; und noch weniger kommt hier die noch jüngere an den Küsten des Chinesischen Meeres und des Meerbusens von Siam, in Champa**), in Betrachtung. Ausserdem aber können wir nirgends, auch nicht in dem frühesten Alterthume, mit irgend einiger Sicherheit Malayen auf dem Festlande nachweisen. Wenn man nun von diesen Stämmen 1. diejenigen zusammennimmt, welche in

*) Ich fasse unter diesem Namen mit der Bevölkerung von Malacca die Bewohner aller Inseln des grossen südlichen Oceans zusammen, deren Sprachen mit der im engeren Verstande Malayisch genannten auf Malacca zu einem und ebendemselben Stamm gehören. Ueber die Aussprache des Namens s. 1. Buch. S. 12. Anm. 2.

**) Der Name dieses Distrikts, der sehr verschieden geschrieben wird, findet sich in obiger Schreibung in der Barmanischen Sprache. S. Judson's Lex. h. v.

Humboldt, Versch. d. Sprachbaues.

engerem Verstande Malayische zu heissen verdienen, da sie, nach untrüglicher grammatischer Untersuchung, eng mit einander verwandte und durch einander erklärbare Sprachen reden, so finden wir dieselben, um nur diejenigen Punkte zu nennen, wo die Sprachforschung hinreichend vorbereiteten Stoff antrifft, auf den Philippinen, und zwar dort in dem zur formenreichsten Entfaltung gediehenen und eigenthümlichsten Zustande der Sprache, auf Java, Sumatra, Malacca und Madagascar. Eine grosse Anzahl von unbestreitbaren Wortverwandtschaften und schon die Namen einer bedeutenden Anzahl von Inseln beweisen aber, dass auch die jenen Punkten nahe gelegenen Eilande gleiche Bevölkerung haben, und dass der engere Malayische Sprachkreis sich wohl über den ganzen Theil des Süd-Asiatischen Oceans ausdehnt, welcher von den Philippinen südwärts an den Westküsten von Neu-Guinea herunter, und dann westwärts um die Inselkette herum, die sich an die Ostspitze von Java anschliesst, in den Gewässern von Java und Sumatra bis zur Strasse von Malacca geht. Es ist nur zu bedauern, dass sich die Sprachen der grossen Inseln Borneo und Celebes, von welchen jedoch wahrscheinlich das eben Gesagte gleichfalls gilt, noch nicht gehörig grammatisch beurtheilen lassen.

2. Oestlich von dem hier gezogenen engeren Malayischen Kreise, von Neu-Seeland bis zur Oster-Insel, von da nordwärts bis zu den Sandwich-Inseln und wieder westlich bis zu den Philippinen heran, wohnt eine Inselbevölkerung, welche die unverkennbarsten Spuren alter Stammverwandtschaft mit den Malayischen Stämmen an sich trägt. Die Sprachen, von welchen wir die Neu-Seeländische, Tahitische, Sandwichische und Tongische auch grammatisch genau kennen, beweisen dieselbe, durch eine grosse Zahl von gleichen Wörtern und wesentliche Uebereinstimmungen im organischen Baue. Gleiche Aehnlichkeit findet sich in Sitten und Gebräuchen, besonders insofern sich die Malayischen rein,

und unverändert durch Indische Gewohnheiten, erkennen lassen. Inwiefern die in diesem Theil des Oceans nordwestlich wohnenden Stämme sich mehr oder ganz zu den übrigen dieser Abtheilung, oder zu den Malayischen im engeren Verstande hinneigen, oder ein verbindendes Mittelglied zwischen beiden bilden, lässt sich, nach den jetzt vorhandenen Hülfsmitteln, noch nicht beurtheilen, da auch die über die Sprache der Marianen-Inseln angestellten Untersuchungen noch nicht öffentlich bekannt gemacht sind. Alle diese Völkerstämme nun besitzen solche gesellschaftliche Einrichtungen, dass man sie mit Unrecht von dem Kreise civilisirter Nationen gänzlich ausschliessen würde. Sie haben eine fest gegründete, und gar nicht durchaus einfache, politische Verfassung, religiöse Satzungen und Gebräuche, zum Theil sogar eine Art geistlichen Regiments, zeigen Geschicklichkeit in mannigfaltigen Arbeiten, und sind kühne und gewandte Seefahrer. Man findet bei ihnen, an mehreren Orten, jetzt ihnen selbst unverständliche Bruchstücke einer heiligen Sprache, und der Gebrauch, veraltete Ausdrücke bei gewissen Gelegenheiten feierlich ins Leben zurückzurufen, zeugt nicht bloss von Reichthum, Alter und Tiefe der Sprache, sondern auch von Aufmerksamkeit auf die im Laufe der Zeit wechselnde Bezeichnung der Gegenstände. Dabei aber duldeten sie, und dulden zum Theil noch, unter sich barbarische und mit menschlicher Gesittung nicht zu vereinigende Gebräuche, scheinen nie zum Besitze der Schrift gelangt zu sein, und entbehren daher alle von dieser abhängige Bildung, ob es ihnen gleich nicht an sinnreichen Sagen, eindringender Beredsamkeit und Dichtung in bestimmt geschiedenen Tonweisen fehlt. Ihre Sprachen sind auf keine Weise aus Verderbung und Umwandlung der Malayischen des engeren Kreises entstanden, man kann viel eher glauben, in ihnen einen formloseren und ursprünglicheren Zustand dieser wahrzunehmen.

3. Zugleich mit den hier genannten Völkerstämmen in den

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